Sanitätsdienst

Der Weg der Opioide in die Sanitätstasche

Der Weg der Opioide in die Sanitätstasche

Datum:
Ort:
Koblenz
Lesedauer:
4 MIN

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Die Bundeswehr macht’s mit Lollis“ – so lautete die Überschrift eines im April 2013 erschienenen Artikels in der Fachzeitschrift Ärztezeitung. In diesem Beitrag ging es um eine damals neue Methode, hochpotente synthetische Opioide unkompliziert zu verabreichen. Besonders in hochgefährlichen Einsatzorten bedarf es einer sicheren Verabreichungsform.

Mehrere Ampullen mit Morphium aus dem Jahr 1916

Da Morphium deutlich stärker und schneller wirkte als Opium, schien es nicht verwunderlich, das Militärärzte und Soldaten schnell den Wert für das Schlachtfeld erkannten

Bundeswehr/Wehrgeschichtliche Lehrsammlung der Sanitätsakademie

Von der Opiumpfeife bis zum Fentanyl-Lutscher

Im kriegerischen Konflikt ist die Verwendung von schmerzstillenden Methodenen und Stoffen eine schon immer unverzichtbare Praxis gewesen, die bis in die frühen Jahre der Menschheit zurückreicht. Bereits vor Christus war die Wirkung der Heilpflanze Papaver Somniferum, umgangssprachlich auch Schlafmohn oder Opium genannt, den Menschen bekannt. Im antiken Griechenland galt der Schlafmohn sogar als Sinnbild für verschiedene Gottheiten, was als Hinweis auf den hohen kulturellen Stellenwert der Pflanze gewertet werden kann. Auch die Menschen im Mittelalter wussten die Wirkung für sich zu nutzen, doch galt sie als ein seltenes Gut im europäischen Raum in der damaligen Zeit.

Oftmals war der gezielte Schlag auf den Kopf mit einem Hammer die kostengünstigste Alternative zur Narkose. Ähnliche Tendenzen gab es bei den Seeleuten im frühen kolonialen Zeitalter. Aus der Not heraus griffen die Akteure zum Beißriemen und einem ordentlichen Schluck Rum, um die Schmerzen zu betäuben. Erst im 15. Jahrhundert begann sich die Praxis des Opiumrauchens in der Welt durchzusetzen und erreichte im 18. Jahrhundert fast alle Teile Europas. Die noch heute gebräuchliche Methode der direkten Injektion unter die Haut wurde im 19. Jahrhundert erstmals angewandt und revolutionierte die moderne Wehrmedizin. Das Injizieren löste somit traditionelle Anwendungen wie Rauchen oder auch das Tröpfeln von Tinkturen ab.

Soldatenkrankheit „Morphinomanie“

Opium besitzt einen ungebrochen hohen Stellenwert für die moderne Medizin. Nachgewiesenermaßen besitzt Schlafmohn die Fähigkeit, Schmerzen zu lindern, Durst und Hunger zu reduzieren oder Ängste zu lösen. Dem deutschen Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner (1783-1841) gelang es 1803/1804, ein Extrakt aus dem Saft der Mohnkapseln zu isolieren, welches deutlich potenter als das traditionelle Opiumrauchen wirkte. Sertürner benannte 1817 seine Methode „Morphium“, nach dem griechischen Gott des Schlafes, Morpheus. Da Morphium deutlich stärker und schneller wirkte als Opium, schien es nicht verwunderlich, das Militärärzte und Soldaten schnell den Wert für das Schlachtfeld erkannten.

Als im Jahr 1853 die Injektionsspritze erfunden wurde, zeichnete sich ein praktischer Wert für die Wehrmedizin ab. Im Krimkrieg (1854-1856), Sezessionskrieg (1861-1865) und Deutsch-Französischen Krieg (1870/1871) wurde Morphium im großen Stil zur Behandlung von Verwundeten oder bei Amputationen eingesetzt. Dies blieb nicht ohne Folgen. Unzählige Soldaten, die in Feldlazaretten oder auf Schlachtfeldern behandelt wurden, verließen diese im Bann einer Morphiumsucht. Die zeitgenössische Bezeichnung für dieses Phänomen: „Krankheit der Soldaten“.

Morphium-Knappheit in den Weltkriegen

Verabreichungssysteme und medizinische Produkte erlebten besonders während Kriegen Modernisierungsschübe. So hatten die deutschen Sanitäter in den Weltkriegen rund 20 Tabletten in ihrer Standardausrüstung, mit denen eine schwache Opiumzubereitung hergestellt werden konnte. Die schnelle Verabreichung von schmerzstillenden Substanzen zwischen Schützengräben oder Schlachtfeldern war entscheidend für das Durchhalten der Soldaten im Krieg. Auch waren Morphin-Injektionen aus den deutschen Feldlazaretten oder Schützengräben nicht wegzudenken. Aufgrund der kriegsbedingt mangelhaften Versorgungswege und immer wiederkehrender Medikamentenknappheit prägten oftmals grausame Schreie und schmerzhaftes Stöhnen die Geräuschkulissen der Lazarette. Nicht selten blieb daher etwa den Kräften des Deutschen Heeres und des Sanitätsdienstes der Wehrmacht nichts anderes übrig, als hoffnungslos verwundete Soldaten palliativ zu begleiten und mit dem Morphin ein friedlicheres Sterben zu ermöglichen – aber auch nur dann, wenn genügend Morphin vorhanden war.

Historische Spritze in eine Holzschatulle

Die noch heute gebräuchliche Methode der direkten Injektion unter die Haut wurde im 19. Jahrhundert erstmals angewandt und revolutionierte die moderne Wehrmedizin

Bundeswehr/Wehrgeschichtliche Lehrsammlung der Sanitätsakademie

Pfeife – Kanüle – Injektor – Lutscher

Besonders heute spielen die persönliche Sanitätsausrüstung und schmerzstillende Maßnahmen in Missionen eine entscheidende Rolle. Nachweislich reduziert die rasche Gabe von schmerzlindernden Stoffen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Hier setzte die Bundeswehr bislang besonders auf Morphin, insbesondere da dieses als Autoinjektor zugelassen ist. Neben dem Morphium gibt es zwischenzeitlich jedoch auch weitere hochpotente Opioide. Bei einer einmaligen Gabe eines Opioid gestaltet sich die richtige Dosierung mitunter schwierig. Atemdepression kann die Folge einer zu hohen Dosis sein. Zudem erweist sich der Morphin-Autoinjektor bei bestimmten Verwundungsmustern als weniger gut geeignet. Dieser soll daher möglichst durch ein neues System ergänzt werden.

Eine passende Option liefert hier die Fentanyl-Lutschtablette. Fentanyl gehört zu den synthetischen Opioiden und wirkt deutlich stärker als sein Vorgänger. Die Einführung der Lutschtablette für die Anwendung in der Gefechtsfeldanalgesie, welches einer breit abgestimmten rechtlichen Ausnahmeregelung bedarf, unterliegt derzeit einer intensiven Prüfung. Wird die spannende Entwicklung der Opiate bis hin zu den Opioiden betrachtet, so können sich die Soldatinnen und Soldaten glücklich schätzen, wie weit sich die Form der Schmerzbekämpfung weiterentwickelt hat. Schließlich braucht es heute keinen Beißriemen oder Hammer mehr.

von Marcel Bockisch-Ernst

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