Erinnerung wach halten: das Konzentrationslager Auschwitz
Für die Ausstellung „Survivors“ fliegt die Luftwaffe Holocaust-Überlebende nach Deutschland. Wir haben die Opfer des Nazi-Regimes auf ihrer „symbolischen Reise“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel es ausdrückte, begleitet.

Luftwaffe fliegt Holocaust-Überlebende nach Deutschland
Mit entschlossenen Schritten steigt der 87-jährige Naftali Fürst in Düsseldorf aus dem Airbus A319 der Flugbereitschaft. Er ist einer der Überlebenden des Holocaust, ein „Kohlestück, das in den Flammen des Schreckens nicht völlig verbrannt ist“, wie er sagt.
Zum ersten Mal hat das Verteidigungsministerium ein Regierungsflugzeug nach Tel Aviv geschickt, um eine Delegation der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und den Zeitzeugen Fürst nach Deutschland zu fliegen. Anlass ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar. An diesem Tag jährt sich 2020 zum 75. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.
Mit dem Flug trägt das Verteidigungsministerium als Teil der Bundesregierung wesentlich dazu bei, einen würdigen und angemessenen Rahmen für das Gedenken zu schaffen. „Es bedeutet uns unendlich viel, dass Sie diese symbolische Reise in einem Flugzeug der Luftwaffe auf sich genommen haben“, so Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Naftali Fürst bei ihrer Eröffnungsrede.
Während des Fluges hatten mitreisende Journalisten Zeit, ausführliche Hintergrundgespräche mit Naftali Fürst und den Delegierten zu führen.
Die Delegation um den Holocaust-Überlebenden und um Iris Rosenberg, der Sprecherin von Yad Vashem, ist zu Gast bei der Eröffnung der Ausstellung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“ in Essen.
Die letzten Augenzeugen
Für „Survivors“ hat der international preisgekrönte Fotograf Martin Schoeller in Israel 75 Holocaust-Überlebende porträtiert. Die Frauen und Männer gehören zu den letzten Zeitzeugen, die aus eigenem Erleben über die Gräuel der Shoa berichten können. 99 Jahre alt ist die älteste Porträtierte.
„Wer mit einem Zeitzeugen spricht, wird selbst zum Zeugen“, sagt Iris Rosenberg. „Wir müssen die Fackel der Erinnerung weitertragen.“ Eindringlich warnt sie, dass Antisemitismus nicht ausschließlich Juden gefährde, sondern sich gegen jede Gesellschaft richte, die ihn zulässt: „Die Gesichter der Überlebenden in ihrem Schmerz und ihrer Stärke erzählen, was passiert, wenn man Antisemitismus nicht rechtzeitig in die Schranken weist.“
Jedes einzelne der großformatigen, eindringlichen Porträts der 75 Holocaust-Überlebenden erzählt eine zugleich persönliche, aber auch gemeinsame Geschichte. Eine Herzensangelegenheit für den Fotografen Martin Schoeller: „In meiner Schulzeit war der Holocaust Thema in fast jedem Fach. Ich wuchs auf mit dem Gefühl ungeheurer Schuld. Gerade jetzt im Angesicht eines wieder erstarkenden Antisemitismus in Europa fühle ich die Verantwortung, dazu beizutragen, dass so etwas niemals wieder geschehen kann.“
Entstanden sind die Fotos als gemeinsames Projekt der Stiftung für Kunst und Kultur Bonn mit der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Gesichter erzählen Geschichte
Naftali Fürst überlebte die Konzentrationslager Sered und Auschwitz-Birkenau und, als 12-Jähriger, den „Todesmarsch“ nach Buchenwald. Die Erinnerungen sind Teil von ihm wie die eintätowierte Häftlingsnummer 14026. „Über fünfzig Jahre lang waren meine Erinnerungen und Gefühle tief in meiner Seele begraben. Ich habe Bruchstücke meiner Kindheit zu sehr seltenen Gelegenheiten preisgegeben, und das nur einer Handvoll Menschen.“
2005 schloss er sich in Yad Vashem einer Gruppe von Überlebenden an, die ihre Geschichte erzählen. Auf Vortragsreisen und als Vorsitzender des Beirates ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald hält er das Gedenken seitdem wach.
Ausstellungseröffnung mit Bundeskanzlerin Merkel
„Die Shoa brach mit der Zivilisation, sie brach mit sämtlichen Werten“, so Bundeskanzlerin Angela Merkel. Jedes Porträt sei eine Mahnung an uns, für Menschlichkeit einzutreten, im Alltag nicht zu schweigen oder wegzuschauen, wenn Menschen angegriffen, gedemütigt oder in ihrer Würde verletzt würden.

Dass wir wieder jüdisches Leben in Deutschland haben, ist ein wirklich großes Geschenk, darüber freue ich mich.
Tief beeindruckt zeigt sich auch Staatssekretär Peter Tauber, der das Verteidigungsministerium in Essen bei der Ausstellungseröffnung repräsentiert. Man könne die Rolle Deutschlands in der Welt nicht verstehen, ohne an den Holocaust zu erinnern. Gleichzeitig ist der Staatssekretär optimistisch: „Dass wir wieder jüdisches Leben in Deutschland haben, ist ein wirklich großes Geschenk, darüber freue ich mich.“
Im Anschluss an die Eröffnung fliegt Tauber mit der israelischen Delegation zu politischen Gesprächen nach Tel Aviv.
Die Ausstellung läuft vom 22. Januar bis 26. April 2020 in der Zeche Zollverein auf dem UNESCO-Welterbe-Gelände in Essen. Sie ist täglich von 11.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. |
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„Man spürt an jeder Ecke, was damals passiert ist“
Oberstleutnant Daniel Christof ist Mitorganisator der Auschwitz-Workshops für Berufsoffiziere. Ein Interview über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Dimensionen des Grauens und Lagertourismus.
5 Fragen an Daniel Christof
Mitorganisator der Auschwitz-Workshops für Berufsoffiziere
Herr Oberstleutnant, sie waren mittlerweile acht Mal mit der Bundeswehr in Auschwitz. Wird das Grauen irgendwann normal?
Ich kann an mir keinen Gewöhnungseffekt feststellen. Im Gegenteil: Die Erfahrung wird für mich von Jahr zu Jahr intensiver – auch, weil ich mich intensiv mit der Thematik auseinandersetze. Ich entdecke bei jedem Besuch in Auschwitz immer noch Neues, lerne von Jahr zu Jahr dazu.
Was macht den Auschwitz-Workshop so besonders?
Der Mehrwert liegt im Austausch mit Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen, wir laden zudem hochkarätige Referenten ein. Entscheidend aber ist, dass alles am tatsächlichen Ort des Geschehens passiert. Man riecht und spürt und sieht an jeder Ecke, was damals passiert ist. Auschwitz ist das Symbol für den Holocaust schlechthin. Zudem ist das Stammlager nahezu vollständig erhalten. Ich mache jedes Jahr die Erfahrung, dass die Kameradinnen und Kameraden von der schieren Größe des Lagers regelrecht erschlagen werden. Besonders die Dimensionen von Auschwitz-Birkenau sind kaum zu begreifen.