Maritime Sicherheit

Seeminen unschädlich machen: Der gefährliche Auftrag der Minentauchereinsatzboote

Seeminen unschädlich machen: Der gefährliche Auftrag der Minentauchereinsatzboote

Datum:
Ort:
Kiel
Lesedauer:
4 MIN

Seeminen sind ein unkalkulierbares Risiko. Sie können in 80 Metern Tiefe auf dem Meeresgrund einer vielbefahrenen Route der Handelsschifffahrt liegen – oder in flachen Küstengewässern, Flussmündungen und Hafeneinfahrten. Dann rücken die Minentauchereinsatzboote der Bundeswehr an.

Das Tauchereinsatzboot "Bad Rappenau" auf offener See

Die „Bad Rappenau“ ist eines von zwei Minentauchereinsatzbooten der Bundeswehr und noch bis Mitte Juli 2022 als Teil des multinationalen Verband Standing NATO Mine Countermeasures Group 2 im Mittelmeer im Einsatz

Bundeswehr/Marcel Kröncke

Seewege für die Schifffahrt freizuhalten: Das ist der Auftrag des 3. Minensuchgeschwaders in Kiel. Eine besondere Rolle erfüllen dabei dessen beiden Minentauchereinsatzboote. Eines davon ist die „Bad Rappenau“. Immer mit an Bord sind Minentaucher, Spezialisten für die Kampfmittelräumung unter besonders schwierigen Bedingungen.

Korvettenkapitän Jan Brodersen, Kommandant der „Bad Rappenau“ und selbst Minentaucher, sagt: „Minentaucher kommen immer dann zum Einsatz, wenn es zu eng, zu flach oder zu gefährlich ist, um ein Minenjagdboot einzusetzen, das mit einer Drohne die Sprengung auslöst.“ Denn diese seien auf großflächiges Minenräumen in freien Gewässern spezialisiert. In Häfen und an Stränden, aber auch in der Nähe von Pipelines und Unterwasserkabeln oder in Schiffswracks, übernehmen Minentaucher die gefährliche Aufgabe, Seeminen zu identifizieren und unschädlich zu machen. 

Kontrollierte Sprengung statt Entschärfung

„Anders als Pioniertaucher, die in der Regel Kampfmittel entschärfen, um verteidigungsrelevante Infrastruktur wie Brücken oder Piers zu schützen, arbeiten Minentaucher mit kontrollierten Sprengungen.“ Brodersen erklärt die Vorgehensweise: Wenn Seeminen in einem Gebiet vermutet werden oder das Sonar des Minenjagdboots ein Signal empfängt, wird die autonome, kabellose Unterwasserdrohne REMUS ausgeschickt, um ein vorher programmiertes Gebiet selbständig mittels Sonar abzusuchen. Hat die Drohne den Ablageort eines Sprengsatzes identifiziert, schwimmt ein Taucher zur Analyse dorthin. 

Eine Unterwasserdrohne REMUS liegt in einer Kiste an Bord der Bad Rappenau

Die kabellose Unterwasserdrohne REMUS der „Bad Rappenau“ kann mittels Sonar selbständig ein vorher programmiertes Gebiet nach Seeminen und anderen Kampfmitteln absuchen. Sie wird jedoch nicht zur Sprengung identifizierter Kampfmittel verwendet

Bundeswehr/Tom Twardy
EIN Minentaucher findet eine Anti-Invasionsmine und markiert sie

Ist eine Grundmine identifiziert – hier eine Anti-Invasionsmine –, untersucht der Minentaucher sie. Anders als Pioniertaucher, die Sprengsätze meist entschärfen, um Infrastruktur zu schützen, prüft er, wie sich die Mine kontrolliert sprengen lässt

Bundeswehr/Andrea Bienert

Zurück an Bord wird eine passende Sprengladung geformt, die der Minentaucher wiederum an der Mine platziert. Die Zündung erfolgt ferngesteuert, jedoch wegen der entstehenden Druckwelle erst, wenn der Taucher wieder zurück an Bord ist. „Angst darf man bei dieser Aufgabe nicht haben, aber Respekt ist wichtig“, sagt Brodersen. 

Gelassenheit unter Stress statt Kurzschlussreaktion

Üblicherweise gehören sechs Minentaucher zur Stammbesatzung eines Minentauchereinsatzboots der Deutschen Marine. Bis zu 16 können für Sondermissionen an Bord genommen werden.

Kommandant Jan Brodersen im Portrait
Korvettenkapitän Jan Brodersen, Kommandant der Bad Rappenau und Minentaucher Bundeswehr/Tom Twardy
„Mentale Stärke ist die wichtigste Anforderung an einen Minentaucher.“

Die Ausbildung ist lang und fordernd. Denn Minentaucher brauchen mehr als Fachkompetenz und körperliche Fitness. Die wichtigste Voraussetzung sei mentale Stärke, so Korvettenkapitän Brodersen: „Die Technik und die tauchmedizinische Komponente kann man lernen. Nicht aber die Gelassenheit, die einen ruhig bleiben lässt, wenn man sich in 50 Metern Tiefe ohne Sicht mit den Händen am Grund entlang tastet, um eine Mine zu identifizieren.“ Hier könne jede Kurzschlussreaktion tödlich sein. 

Seeminenabwehr als Schlüsselfähigkeit für die NATO

Die „Bad Rappenau“ ist seit Anfang Februar 2022 Teil der Standing NATO Mine Countermeasures Group 2 (SNMCMGStanding NATO Mine Countermeasures Group 2) und steht zugleich mit ihren Minentauchern auf Abruf für die schnelle Eingreiftruppe NATO Response Force bereit.

„Seeminen – zu Tausenden verlegt – können eine geographische Veränderung herbeiführen,“ sagt Brodersen. Denn mit Seeminenfeldern lassen sich Schiffe in feindliche Gewässer zwingen, auf bestimmte leicht zu kontrollierende Routen umleiten – oder Verkehrswege für die Schifffahrt komplett sperren. Nur der Minenleger kenne dann die sichere Passage. „Ohne die Fähigkeit zur Minenräumung wären verminte Seegebiete, Küstengewässer oder Hafenanlagen für uns und unsere Bündnispartner unbefahrbar“, erklärt Brodersen die Bedeutung der ständigen Minenabwehrverbände der NATO. 

Der multinationale Verband wird immer wieder neu zusammengesetzt. Deutsche Einheiten sind regelmäßig beteiligt. Derzeit unter spanischer Führung, übt die aktuelle SNMCMGStanding NATO Mine Countermeasures Group 2 mit wechselnden Mittelmeeranrainern bis Mitte Juli die gezielte Räumung und Bekämpfung von Seeminen und anderer Kampfmittel, auch selbst gelegter Übungsminen. Ein erster Höhepunkt für die Besatzung der „Bad Rappenau“ war eine deutsch-israelische Übung im Hafen von Haifa. Gemeinsam mit israelischen Sprengstoffexperten machten die Deutschen IEDs – selbst gebaute Sprengsätze – zu Wasser und zu Land unschädlich, sicherten das Hafengebiet und beschafften Informationen aus einem mit Sprengfallen präparierten Schiff. 

Einsatzreife erst nach Entmagnetisierung

Die Teilnahme an der SNMCMGStanding NATO Mine Countermeasures Group 2 und anderen NATO-Bündnisverpflichtungen erfordert eine lange Vorbereitung der „Bad Rappenau“ und ihrer Besatzung. Seeklarbesichtigung, Einsatzausbildung, Minenbekämpfung auf See sowie die Abstimmung der magnetischen Schiffssignatur auf die Einsatzregion nehmen insgesamt mindestens sechs Monate in Anspruch.

Bei der Seeklarbesichtigung weisen die Soldatinnen und Soldaten nach, dass sie alle zivilen Notverfahren beherrschen, beispielsweise Brandbekämpfung an Bord oder Seenotrettung. In der Schadensabwehr- und Gefechtsausbildung im Einsatzausbildungszentrum der Marine in Neustadt, Holstein geht es um militärische Grundfertigkeiten. Im dritten Teil wird die Minenbekämpfung auf See geübt – erst ohne, dann mit Feindbedrohung.

Das Tauchereinsatzboot Bad Rappenau fährt in den Erdmagnetfeldsimulator rein

Vor Eingliederung in einen Ständigen Minenabwehrverband der NATO muss die „Bad Rappenau“ im Erdmagnetfeldsimulator der WTDWehrtechnische Dienststelle 71 vermessen werden. Dabei wird das Magnetfeld an den Einsatzraum angepasst, so dass sie für Seeminen fast unsichtbar ist

Bundeswehr/Tom Twardy


Direkt vor dem Einsatz fährt das Schiff zur Entmagnetisierung und Vermessung in den Erdmagnetfeldsimulator der Wehrtechnischen Dienststelle (WTDWehrtechnische Dienststelle) 71. Brodersen sagt: „Ohne Anpassung der magnetischen Schiffsignatur auf die Einsatzregion würde das Risiko, unabsichtlich eine Seemine zu zünden, exponentiell steigen – eine vermeidbare Gefahr für Schiff und Besatzung.“ Die magnetische Vermessung sei daher Voraussetzung für die Einsatzreife und letzter Schritt vor der Eingliederung in den NATO-Verband.

von Simona Boyer

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