Y-Magazin

Die Panzerkompaniechefin: „Respekt entsteht durch Handeln”

Die Panzertruppe gilt als Rückgrat des Heeres. Ein hoher Anspruch, den Major Karolin Böhme mit ihrer Kompanie einlösen will. Y hat sie bei einer Übung in der Lüneburger Heide begleitet.

Eine Soldatin mit Funkgerät schaut aus der Dachluke eines Panzers.

Ein Kampfpanzer wühlt sich durch die Erde. Schlamm spritzt auf. Dann halten die 60 Tonnen Stahl unvermittelt an. Aus der Dachluke schaut eine Frau und verschafft sich einen Überblick. Ihr Gesicht ist mit Erde und Tarnschminke gesprenkelt. Ein kurzes Lächeln, bevor es ernst wird.

Dann greift sie zu ihrem Sprechsatz und gibt über Funk Marschkommandos. Weitere Panzer setzen sich in Bewegung und beziehen Positionen. In diesem Moment hat Karolin Böhme das Kommando über 170 Soldatinnen und Soldaten sowie knapp zwei Dutzend gepanzertes Großgerät. Der Auftrag der 35-Jährigen hier in der Lüneburger Heide: angreifen.

Die Kompaniechefin mit dem Dienstgrad Major hält sich mit ihren Soldatinnen und Soldaten für zwei Wochen auf dem Truppenübungsplatz Munster-Nord auf. Seit zwei Jahren ist die geborene Dresdnerin im Panzerlehrbataillon 93 in der Garnisonsstadt Munster stationiert. Ihr Verband gilt als besonders traditionsbewusst, schließlich liegt hier die Heimat der Panzertruppe. Seit Gründung der Bundeswehr werden in Munster Panzermänner ausgebildet und seit der Aufnahme von Frauen in die Kampftruppe auch Panzerfrauen. Eine von ihnen ist Böhme, die 2005 zur Bundeswehr gegangen ist. Dabei war sie bei ihrer Einstellung gar nicht für diese Truppengattung vorgesehen.

Nach ihrem Pädagogikstudium an der Universität der Bundeswehr München war sie nämlich zunächst mit dem Einsatzkameratrupp in Afghanistan und Mali. Dort begleitete sie Fallschirm- und Gebirgsjäger bei ihren gefährlichen Einsätzen. Hinter der Kamera fing sie jene Leute ein, zu denen sie auch mal gehören wollte. „Ich war von diesen Menschen fasziniert und wusste, das will ich auch mal machen“, erzählt sie.

Ihre Laufbahn führte sie zunächst zu Jörg Vollmer, damals der Inspekteur des Heeres. Als Ordonnanzoffizierin war sie viel mit dem General unterwegs. In dieser Zeit fällte sie einen folgenreichen Entschluss. Sie wollte sich komplett umorientieren: weg von der Truppe der operativen Kommunikation, hin zur Kampftruppe. 2016 wagte sie den Neustart und ließ sich in Munster zur Panzerfrau ausbilden.

Ein Soldatin posiert vor einem Panzer in einem waldigen Gelände.

Die Kompaniechefin: Major Karolin Böhme ist seit zwei Jahren im traditionsreichen Panzerlehrbataillon 93 Chefin einer Panzerkompanie. Der Verband existiert schon seit Aufstellung der Bundeswehr.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Mit geballter Feuerkraft

Zurück auf den Truppenübungsplatz Munster-Nord: Böhmes Kampfpanzer setzt sich wieder in Bewegung. Über Funk kommen ihre Ansagen im Panzersprech. Es sind kurze Sprüche mit vielen Abkürzungen. Für Außenstehende hört sich das kryptisch an, doch ihre Soldatinnen und Soldaten verstehen sofort, was sie will: „Delta, Echo im Breitkeil voraus, 3.0 dahinter, Rest folgt. Geschwindigkeit 20. Angriff, Marsch.“

Der Angriff beginnt. Die Kettenfahrzeuge schlängeln sich durch einen Wald, bis sich plötzlich weites Heideland auftut. Mit hoher Geschwindigkeit entfalten sich die ersten acht Panzer auf eine Breite von knapp 1.000 Metern. Abwechselnd stoßen die Panzer in vorderster Reihe mit ihren Rohren einen Feuerball aus, der von einem dumpfen Knall gefolgt wird. Auf eine Distanz bis zu 3.000 Meter bekämpfen sie im scharfen Schuss aufklappende Zielscheiben in der Form von Panzern. Die Frauen und Männer um Böhme sind in ihrem Element. Über Funk kommen kurze Zielansprachen. Panzergrenadiere, Pioniere, Sanitäter und Feuerbeobachter folgen dicht dahinter.

Darum geht es bei der Landes- und Bündnisverteidigung: Kampf im Verbund mit anderen Truppengattungen. Hier patrouillieren keine leicht gepanzerten Jeeps durch den Wüstensand – das, was Böhme früher fasziniert hat. In Munster stößt die ehemalige Kamerafrau mit geballter Feuerkraft und hoher Geschwindigkeit durch die Norddeutsche Tiefebene. Das Gefechtsfeld dehnt sich immer weiter aus. Es wird unübersichtlich. Im Funkkreis folgen die Funksprüche immer dichter aufeinander. Wenn die Chefin nicht eingreift, würde der Angriffsschwung zum Erliegen kommen.

Die vielen Soldatinnen und Soldaten mit ihren schweren Gefechtsfahrzeugen müssen koordiniert und zielgerichtet eingesetzt werden, auch wenn es laut und nur wenig zu sehen ist. Das ist die Aufgabe einer Kompaniechefin. Böhme weiß das genau. „Respekt entsteht durchs Handeln und nicht durch bunte Zeichen auf den Schulterklappen“, sagt Böhme.

Für sie ist diese Übung die Krönung ihrer Zeit als Chefin. Hier kann sie unter Beweis stellen, dass sie ihr Handwerk beherrscht. Seit zwei Jahren hat sie das Kommando über die dritte Kompanie. In dieser Zeit hat sie nie den Respekt vor ihrem Hauptwaffensystem, dem Leopard 2 A6, verloren, auch wenn sie zwischendurch viele Nebenaufträge bis hin zur Corona-Amtshilfe zu erfüllen hatte. Am Ende interessiert sie sich vor allem für die Menschen ihrer Einheit. „Ich nehme hier jeden wahr“, sagt sie. Wo andere sich in Aufzählung von technischen Daten, Kampfentfernungen und Leistungswerten ihres Geräts verlieren, erzählt sie lieber von ihren Soldatinnen und Soldaten.

„Wenn mich morgens einer meiner Soldatinnen und Soldaten mit ,Guten Morgen, Frau Major‘ begrüßt, dann ist jede Müdigkeit verflogen“, gesteht sie lachend. In ihrer Kompanie sagen sie, dass sie mit Herz, Gefühl und Verstand führt. „Sie hat Lust und Energie, das merkt man ihr an“, berichtet ihre rechte Hand, der Kompanietruppführer, Stabsfeldwebel Timo Schomburg. „Chef sein ist Verpflichtung und Ehre zugleich“, sagt Böhme. In der Managementlehre würde man ihren Stil als kooperative Führung bezeichnen. 

  • Eine lachende Soldatin steht vor fünf Soldaten und spricht mit ihnen.

    In ihrer Kompanie genießt Böhme einen guten Ruf. Sie wird als emphatisch und offen beschrieben. Die Chefin hat sich einem kooperativen Führungsstil verschrieben.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Eine Soldatin kniet auf einer großen Karte umgeben von mehreren Soldaten in einem Zelt.

    Kompaniechefin Böhme bespricht mit ihren Führern den Ablauf des Angriffsplanes

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Panzer fährt im Gelände. Zwei Soldaten schauen aus der Dachluke.

    Im Gefecht führt Frau Major Karolin Böhme nicht nur die Züge, sondern auch ihren eigenen Panzer

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Porträt von einer Soldatin mit Tarnschminke und Funkgerät im Inneren eines Panzers.

    2016 ließ sich Frau Major Karolin Böhme in Munster zur Panzerfrau ausbilden

    Bundeswehr/Sebastian Wilke

Wo sich Panzerwissen sammelt

Jetzt kämpft sich Böhme mit ihrer Kompanie weiter vor – im Schnitt einen Kilometer alle fünf Minuten. Das Angriffsziel ist noch 15 Kilometer entfernt. Das offene, weite Gelände hat sie mit ihren vordersten Panzern durchstoßen. An einem Waldstück mit engen Wegen entschließt sie sich, ihre Panzergrenadiere zusammen mit Pionieren einzusetzen, um Sperren zu erkunden. Der Gefechtslärm nimmt wieder zu. Die Grenadiere bekämpfen feindliche Schützen und die Pioniere sprengen die gefundenen Richtminensperren. Böhme zieht ihre Panzer wieder nach vorn. Im dichten Waldstück knicken Bäume wie Strohhalme um.

Auf 102 Quadratkilometern erstreckt sich der Truppenübungsplatz. Die Organisation und die Sicherheit bei dieser Gefechtsübung übernimmt das Schießübungszentrum Panzertruppen. So kann sich die Kompaniechefin auf ihren taktischen Auftrag fokussieren. Das Schießübungszentrum gehört zur Panzertruppenschule in Munster. Dort ballt sich das gesamte Wissen zum Kampf mit Panzern in der Bundeswehr. „Meine früheren Ausbilderinnen und Ausbilder haben in ihren Grenadier- und Panzerkompanien unzählige Übungen wie diese hier mitgemacht“, sagt Böhme. „Das sind Panzerprofis.“

Auch wenn die Bundeswehr in der Vergangenheit ihre Panzertruppe verkleinert hat, der Erfahrungsschatz ist nicht verloren gegangen. Die Panzertruppe ist das Rückgrat jeden Heeres, sagt man hier. Das Personal des Übungszentrums beobachtet, wie auch Böhme, genau die Vorgänge im Ukraine-Krieg und zieht seine Schlüsse daraus. Es legt jetzt noch mehr Wert darauf, dass die Grundlagen alle zu 100 Prozent sitzen. Böhmes Kompanie wird darauf hingewiesen, wenn die Tarnung am Panzer nicht passt, Stellungen nicht rechtzeitig gewechselt werden oder sich irgendwo Fahrzeugkolonnen stauen. Alles Maßnahmen, die manchmal die Übungstruppe nerven, aber einem Zweck dienen: die Überlebenschancen auf dem Gefechtsfeld zu erhöhen. Böhme ist dankbar für die Tipps. „Nur hier können wir richtig üben“, sagt sie.

Ihre Eltern seien anfangs schockiert gewesen, als Böhme erzählte, dass sie eine Panzerkompanie übernehmen soll. „Die konnten damit nicht viel anfangen. Also habe ich sie zu einem Panzerschießen eingeladen.“ Danach herrschte Betroffenheit: Das Martialische am Panzer verstörte die Eltern. Ihr Vater sagte danach zu ihr, er hätte sich was anderes für sie gewünscht. Dabei bedeutet ihr diese Kompanie alles. „Ich liebe meine Leute“, sagt sie. Das sehen dann auch ihre Eltern und stehen am Ende hinter ihr.

Die Übung neigt sich dem Ende zu. Die Schiedsrichter vom Schießübungszentrum sind zufrieden. Sie attestieren Böhme kluge und zweckmäßige Entscheidungen im Gefecht. Die Kompaniechefin ist froh, dass die Übung zu Ende ist. Die Strapazen der letzten Wochen sieht man ihr zwar nicht an, aber sie gesteht, dass sie sich auf ihr eigenes Bett und die gemeinsame Zeit mit ihrer Lebensgefährtin freut. „Ich will mich nicht im Dienst verlieren, ich will auch gerne Karolin bleiben“, gibt sie offen zu. Böhme bestreitet derzeit ihr letztes Jahr als Kompaniechefin. Und wird dann bereit sein für neue Herausforderungen.

von Matthias Lehna