Schießen mit System: Wenn Treffer zur logischen Konsequenz werden

Schießen mit System: Wenn Treffer zur logischen Konsequenz werden

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Die Schießausbildung der Bundeswehr spiegelte die Erfordernisse der Einsätze nicht mehr wider. Vor diesem Hintergrund ist in der Bundeswehr vor einigen Jahren das neue Schießausbildungskonzept entwickelt worden. Alle Soldatinnen und Soldaten werden seit dem Jahr 2010 entsprechend geschult.

Mehrere Soldaten knien in einer Reihe mit Gewehren im Anschlag auf dem Truppenübungsplatz

In der schweren Schutzweste kann ein stundenlanges Schießtraining zum Kraftakt werden: Auf Kommando wird liegend, kniend oder stehend gefeuert. Die Soldatinnen und Soldaten wechseln ihre Magazine selbstständig und lernen, Störungen zu beseitigen.

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Das neue Schießausbildungskonzept für Gewehr und Pistole wird seit etwa zehn Jahren in der Bundeswehr umgesetzt. Es beruht auf Einsatzerfahrungen aus asymmetrisch geführten Konflikten wie zum Beispiel in Afghanistan. In solchen Konflikten stehen die Soldaten und Soldatinnen einem Feind oftmals überraschend und auf eine sehr kurze Entfernung bis zu etwa 50 Metern gegenüber. Sie müssen blitzschnell eigenständig und sicher reagieren – und trotzdem treffsicher schießen. Dennoch sind auch Gegner auf 300 Meter und darüber hinaus robust und zügig zu bekämpfen.

Geschossen wird eher im Nahbereich

Für die Bundeswehr war das ein Paradigmenwechsel. Denn im Kalten Krieg trainierte die Truppe über Jahrzehnte vor allem den Einzelschuss mit dem Gewehr auf mittlere und weite Entfernungen, eingebettet in eine veraltete Methodik bei der Vermittlung der Ausbildungsinhalte. Die Pistole fristete ein Mauerblümchendasein. Heute ist sie als Zweitwaffe im Einsatz Standard. Der eigenständig handlungsfähige und im Umgang mit seinen Handwaffen intensiv geschulte Soldat war nun gefordert. Mehr Eigenverantwortung im Umgang mit den persönlichen Handwaffen rückte in den Fokus.

Seit nunmehr einer Dekade etwa schließt das neue Schießkonzept also eine Ausbildungs- und Fähigkeitslücke, die die Einsatzrealität offenlegte. Die persönliche Handwaffe innerhalb ihrer gesamten Kampfentfernung zu beherrschen und diese mit einem Höchstmaß an Eigenständigkeit einzusetzen, gehört nun zum Handwerkszeug einer jeden Soldatin, eines jeden Soldaten der Bundeswehr. Doch bei mehr als 186.000 potenziellen Umschülerinnen und Umschülern ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen.

Hinzu kommt: „In den vergangenen 20 Jahren hat die individuelle Bewaffnung des einzelnen Soldaten an Bedeutung gewonnen“, sagt Oberstleutnant Hendrik Engelhardt, im Planungsamt der Bundeswehr zuständig für die Handwaffen der Infanterie und der Spezialkräfte. Er hatte in den Jahren 2006 bis 2007 das Konzept und die Ausbildungsgrundlagen entwickelt und erprobt sowie danach weiter begleitet.

Ein Soldat zieht eine Pistole aus seinem Hostler auf dem Truppenübungsplatz

Auch das Ziehen der Pistole läuft nach einer eingeübten „Choreografie“ ab

Bundeswehr/Torsten Kraatz
Ein Soldat steht mit der Pistole im Anschlag auf dem Truppenübungsplatz

Die P8 wird dabei in vier Schritten aus dem Holster gegriffen

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Größeres Sicherheitsbewusstsein an der Waffe

„Früher sollte insbesondere ein massiver Einsatz von Artillerie zur Feuerüberlegenheit beitragen'', so Engelhardt. „In jüngeren Konflikten mussten wir allerdings erkennen, dass vor allem die individuelle Bewaffnung eine entscheidende Rolle spielen kann, den Auftrag durchzusetzen und eigene Kräfte wirksam zu schützen.“ Der Schießlehrer weiter: „Ziel unserer Schießausbildung ist es, möglichst alle unsere Soldatinnen und Soldaten zu befähigen, das Potenzial von Pistole und Gewehr umfangreicher als zuvor auszuschöpfen.“ Dazu gehört auch, den Feuerkampf aus der Bewegung zu führen, selbstständig zwischen den beiden Waffen zu wechseln sowie sich in einem 360-Grad-Bereich zu orientieren, um Ziele zu bekämpfen.

Der Schütze trägt dabei während der Schießausbildung stets Schutzbrille, Schutzweste und Gefechtshelm, um sich so an die Einschränkungen in seiner Beweglichkeit durch die Ausrüstung zu gewöhnen. Train as you fight, lautet das Motto – übe, wie du kämpfst. Eng an die Einsatzrealität angelehnt, soll die Ausbildung zudem eine größere Selbstständigkeit, mehr Eigenverantwortung und ein höheres Sicherheitsverständnis im Umgang mit Pistole und Gewehr vermitteln, als das früher der Fall war.

Demnach gehört die sogenannte Persönliche Sicherheitskontrolle (PSK) obligatorisch dazu, wenn der Ausbilder ruft: „Klar zum Gefecht“ oder aber „Waffe entladen“. Entsprechend oft geübt, läuft der Blick ins Patronenlager fast automatisch ab, und der feste Sitz des Magazins sowie des Mündungsfeuerdämpfers werden ebenso obligatorisch geprüft wie ein freier Blick durch Visier und Zieloptik.

Doch auch beim neuen Schießausbildungskonzept geht es nicht gleich auf die Schießbahn: In einem mehrtägigen Unterricht werden zunächst die theoretischen Grundlagen der Schießlehre und Ballistik gelegt: Wie sieht die Flugbahn des Gewehrprojektils aus und wie muss der Schütze dementsprechend zielen, den Haltepunkt wählen? Umgesetzt wird das Erlernte dann erstmals im Simulator, dem sogenannten Ausbildungsgerät Schießen mit Handwaffen/Panzerabwehrwaffen (AGSHPAusbildungsgerät Schießsimulator Handwaffen/Panzerabwehrhandwaffen). Dort zeigt sich, wer aufgepasst hat.

Ein Soldat schießt freihändig im Stehen mit einem Gewehr auf eine Zielscheibe

Nach dem theoretischem Unterricht geht es auf die Schießbahn

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Taktisches Verhalten wird vermittelt

Auch taktisches Verhalten fließt in die Ausbildung hinein: Zwei Ziele werden zunächst mit jeweils einem Schuss auf die zentrale Zone, den Brustbereich der Zielscheibe, bekämpft. Ein einzelnes Ziel dagegen mit einem schnellen Doppelschuss. Ist der Feind dann immer noch nicht niedergekämpft, folgen gezielte Nachschüsse. Ruft der Ausbilder trotzdem: „Feind schießt noch!“, sollen fünf schnelle Einzelschüssen folgen. In der Konsequenz dürfte der Gegner getroffen und kampfunfähig sein.

Ein Soldat im Porträt
Oberstleutnant Engelhardt Bundeswehr/Torsten Kraatz
,,Im Feuerkampf bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken."

Im Nah- und Nächstbereich liegt der Fokus auf dem reaktionsschnellen Schießen auf kürzeste Distanzen zwischen fünf und etwa 30 Metern. „Im Feuerkampf bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Da muss es schnell gehen und die Treffer müssen sitzen. Sonst bin ich tot“, bringt es Schießlehrer Engelhardt auf den Punkt.

In der einsatznahen, von früherem Formalismus befreiten Ausbildung lernen die Teilnehmenden außerdem, ihr Gewehr anhand eines einfachen Prinzips selbst „anzuschießen“ und zu justieren. Außerdem müssen sie die fünf Elemente der Schießtechnik (Griff, Anschlag, Zielen, Atmen und Abkrümmen) verinnerlichen und folgende vier Sicherheitsregeln auswendig können:

Die vier Sicherheitsregeln

1. Jede Waffe ist als geladen zu betrachten.

2. Die Waffe ist nie auf etwas zu richten, was man nicht treffen will.

3. Der Abzugsfinger berührt den Abzug erst, wenn das Visier auf das Ziel gerichtet ist.

4. Der Schütze muss sich seines Zieles sicher sein.
 
„Wenn der Schütze dies befolgt und intensiv einübt, sind Treffer die logische Konsequenz des Schusses“, fasst Oberstleutnant Engelhardt zusammen.

von Carsten Borgmeier