Bundeswehr gedenkt der jüdischen Weltkriegssoldaten

Bundeswehr gedenkt der jüdischen Weltkriegssoldaten

Datum:
Ort:
Frankfurt am Main
Lesedauer:
4 MIN

Der Volkstrauertag ist den Opfern von Krieg, Gewalt und Vertreibung weltweit gewidmet. Dass auch viele jüdische Soldaten ihr Leben auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges ließen, wurde im Nationalsozialismus verleugnet und im Nachkriegsdeutschland lange verdrängt. Heute gehört ihr Schicksal fest in die Gedenkkultur der Bundeswehr.

Soldat spielt auf der Trompete

Das Lied „Der gute Kamerad” erklingt vor dem jüdischen Ehrenmal. Es ist fester Bestandteil im Trauerzeremoniell der Bundeswehr. Auf jedem Begräbnis mit militärischen Ehren und jeder militärischen Trauerfeier wird das Musikstück gespielt.

Rafael Herlich

Ein Soldat der Bundeswehr spielt „Der gute Kamerad“ auf der Trompete. Mit Ende des Liedes wird es still auf dem jüdischen Friedhof an der Rat-Beil-Straße in Frankfurt am Main. Dort steht das Ehrenmal für die gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Der Gemeinderabbiner spricht das Totengebet. Anschließend werden die Namen der 50 um das Denkmal beerdigten Gefallenen vorgelesen. Laut Totenregister starben zwischen 1914 und 1918 insgesamt 467 jüdische Männer aus Frankfurt. Seit 2008 ist die Gedenkveranstaltung, die unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung steht, ein fester Termin für die Bundeswehr in Hessen – immer am Donnerstag vor dem Volkstrauertag. In diesem Jahr coronabedingt auf einen kleinen Personenkreis beschränkt, erhielt sie in den vergangenen Jahren große Anteilnahme aus Politik, Gesellschaft und Militär. Bis hierhin war es jedoch ein langer Weg.

Jüdische Soldaten: kämpfend, sterbend und verleumdet

Die Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland vom 1. August 1914 bildete den Startpunkt für den Eintritt der Großmächte in den Ersten Weltkrieg. Noch an demselben Tag riefen Rabbiner in ganz Deutschland ihre Gemeindemitglieder auf, ihren Beitrag zur Verteidigung des Vaterlandes zu leisten. Von den etwa 550.000 Juden in Deutschland zogen fast 100.000 – meist glühende Patrioten – in den Krieg. Viele hofften, dass sie mit ihrem Kriegseinsatz auch endlich die gesellschaftliche Anerkennung bekommen würden, die ihnen bisher oft verwehrt blieb. Rund 80.000 von ihnen kämpften an der Front. Circa 35.000 wurden für ihren mutigen Kriegseinsatz ausgezeichnet – einige sogar mit den höchsten Verdienst- und Tapferkeitsorden des Kaiserreichs wie dem preußischen Pour le Mérite. Annähernd 23.000 jüdische Soldaten wurden befördert, darunter etwa 2.000 sogar zu Offizieren.

Doch der Preis war hoch: Am Ende des Krieges 1918 sollten um die 12.000 deutsche Juden ihre Heimat nicht mehr wiedersehen. Trotz ihrer Verdienste und Leistungen fanden die jüdischen Soldaten häufig nicht die erhoffte Akzeptanz bei ihren Kameraden. Stattdessen nahm der über Jahrhunderte gesellschaftlich fest verankerte Antisemitismus während des Krieges sogar noch zu.

Gruppenfoto von Soldaten vor einer Holzhütte im Winter

Von den Kameraden oft ausgegrenzt, war der Glaube eine große Stütze für die jüdischen Soldaten. Feldgottesdienste gaben ihnen das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Etwa 30 Feldrabbiner waren an allen Fronten als Seelsorger eingesetzt.

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Tiefpunkt war die 1916 staatlich angeordnete „Judenzählung“. Sie sollte zeigen, dass sich die Juden vor dem Frontdienst drückten – für die kämpfenden und sterbenden jüdischen Soldaten ein Schlag ins Gesicht. Erst in den 1920er-Jahren wertete man die Erhebung aus. Das Fazit: Jüdische Männer sind sogar zu einem etwas höheren Prozentsatz eingezogen worden. Trotz des Gegenbeweises lebte das Vorurteil vom jüdischen „Drückeberger“ in der Weimarer Republik fort. Mit dem Wachsen rechtsnationaler Kräfte in Deutschland blendete man die Opfer und Leistungen der jüdischen Soldaten komplett aus. Sie wurden sogar als Schuldige für den verlorenen Weltkrieg gebrandmarkt.

1932, etwa ein Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, fand die letzte Gedenkveranstaltung für die gefallenen Frankfurter Juden an ihrem Ehrenmal statt. In der Reichspogromnacht 1938 wurde das 1925 errichtete Denkmal schwer beschädigt. Die Spuren sind bis heute sichtbar. Während des Holocausts ermordete das NSNationalsozialismus-Regime die meisten der überlebenden jüdischen Frontsoldaten und den Großteil der jüdischen Familien, die bereits im Ersten Weltkrieg ihre Väter, Brüder und Söhne verloren hatten. Einst ein Erinnerungsort für die getöteten jüdischen Soldaten des Ersten Weltkrieges, versinnbildlicht es heute die Tragödie des Judentums in Deutschland in ihrer ganzen Breite.

Volkstrauertag: gegen das Vergessen und zur Mahnung

Nach dem Ersten Weltkrieg 1925 als staatlicher Gedenktag für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges eingeführt, ist der Volkstrauertag heute allen Opfern von Krieg, Gewalt und Vertreibung weltweit gewidmet. 1952 war in der damaligen Bundesrepublik festgelegt worden, dass er am vorletzten Sonntag vor dem ersten Advent begangen wird. Mit Gedenkzeremonien und Kranzniederlegungen wird seitdem derer gedacht, die ihr Leben ließen. Die zentralen Zeremonien am Volkstrauertag finden in Deutschland im Bundestag, an der Neuen Wache in Berlin-Mitte und am Ehrenmal der Bundeswehr im Bendlerblock, dem Hauptsitz des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin, statt.

Ehrenmal auf dem Gelände des Ministeriums

Das Ehrenmal der Bundeswehr (vorne) liegt in Blickweite zum Bundesministerium der Verteidigung in Berlin. In seinem Inneren werden die Namen der im Dienst verstorbenen Angehörigen der Bundeswehr in Dauerschleife einzeln nacheinander angezeigt.

Bundeswehr/Andrea Bienert

Das Ehrenmal gedenkt den rund 3.300 zivilen und militärischen Angehörigen der Bundeswehr, die seit der Gründung 1955 ihr Leben im Dienst verloren. Seit Jahrzehnten unterstützt die Bundeswehr in ganz Deutschland hunderte lokale Gedenkveranstaltungen mit Abordnungen und Ehrenformationen verschiedenster Größe. Nach mehr als 75 Jahren seit dem letzten Gefallenengedenken am jüdischen Ehrenmal in Frankfurt, ist es der Initiative des Publizisten Armin H. Flesch zu verdanken, dass seit 2008 die Bundeswehr den gefallenen jüdischen Soldaten wieder militärische Ehren erweist. Er bat den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung persönlich darum, die Gedenkveranstaltung für die lange Zeit Vergessenen durch die Bundeswehr zu begleiten. Es ist ein Ehrendienst zur Mahnung an die in zwei Weltkriegen getöteten Juden aus Frankfurt, den die Bundeswehr in Hessen jedes Jahr in tiefer Verbundenheit erfüllt.

von Fabian Friedl

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