Wie beim SEKSondereinsatzkommando

„Zielperson gesichtet – Jackpot“: Zugriffsdurchsuchungen durch die Militärpolizei

„Zielperson gesichtet – Jackpot“: Zugriffsdurchsuchungen durch die Militärpolizei

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In Deutschland nehmen Spezialkommandos der Polizei bewaffnete Tatverdächtige fest. Im Auslandseinsatz kann es sein, dass Feldjäger diese Aufgabe übernehmen müssen, um die eigene Truppe zu schützen. Ein Blick hinter die Kulissen des Zugriffstrainings.

Ein Soldat mit Helm und MP-Aufnäher steht mit Gewehr im Anschlag in einem Zimmer. Ein anderer Soldat öffnet einen Schrank.

Die Zugriffs-Durchsucher arbeiten an vorderster Front und kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit in Feindkontakt. Aus diesem Grund ist der Selbstschutz einer ihrer wichtigsten Einsatzgrundsätze.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Ein dumpfer Knall schallt durch die Wohnung, als die Holztür auf dem Fußboden aufschlägt. Der Aufprall ist im gesamten Treppenhaus zu hören. Eine Ramme aus Metall hat sie in ihre Einzelteile zerlegt. Staub wird aufgewirbelt und brennt in den Augen. Ein roter Laserstrahl blitzt in der Dunkelheit auf. Ehe der Kopf realisiert, was eigentlich los ist, folgen die Augen dem Laser. Und der zielt auf die eigene Körpermitte.

Wo vor wenigen Sekunden noch eine Wohnungstür war, stehen schwerbewaffnete Soldaten in einer Reihe im Schulterschluss hintereinander. Ihre Mimik ist nicht zu erkennen und dennoch ahnt man, was als Nächstes passieren wird. Es brüllt eine tiefe, feste Stimme: „Militärpolizei, nehmen Sie die Hände hoch!“. Wir sind mitten in einer Zugriffsübung von Feldjägern.

„Wir sind vergleichbar mit einem Spezialeinsatzkommando der Landespolizei. Wir gehen präventiv vor, also verhindern Straftaten gegen die Bundeswehr, aber auch repressiv im Sinne der Strafverfolgung“, sagt Feldjäger Joe*.

Zugriff durch SWAT-Durchsuchungskommando

Im Schutze der Nacht hat sich das Zugriffsdurchsuchungskommando der Feldjäger ins Gebäude geschlichen, um einen gesuchten Straftäter festzunehmen. Eng hintereinander gepresst, eilten die Soldaten das schmale Treppenhaus hinauf. Satellitenbildaufnahmen und die Überwachung von Kommunikationsmitteln haben Anhaltspunkte geliefert, dass sich die Zielperson, der „Jackpot“, in der Wohnung befindet. Diesen Informationsvorsprung lässt sich das Feldjäger-SWAT-Kommando nicht nehmen. SWAT steht für „Special Weapons and Tactics Group“ und bezeichnet spezialisierte Kräfte, die für polizeiliche Sonderlagen ausgebildet und ausgerüstet sind. Das sind auch die auf Zugriffsdurchsuchungen spezialisierten Feldjäger. Sie dürfen im „SEKSondereinsatzkommando-Stil“ Verdächtige festnehmen, wenn diese beispielsweise eine Straftat gegen die Bundeswehr planen. Doch dazu sind sie nur im Ausland befugt, beispielsweise um die Soldaten und Soldatinnen eines Einsatzkontingents der Bundeswehr zu schützen. In Deutschland sind für solche Operationen die Spezialeinheiten der Länderpolizeien oder des Bundes zuständig.

„Zielperson identifiziert! Go, Go, Go!“

Das Kommando, bestehend aus einem Sicherer mit Langwaffe, sogenannten Stürmern, einem Kommandoführer und Stellvertreter, zwei Öffnern, einem Materialträger und Rücksicherer, ist auf jede Eventualität vorbereitet. Die Soldatinnen und Soldaten haben ihre Waffen, die hier nur mit einer Übungs-Farbmunition geladen sind, im Anschlag – den Zeigefinger in der Nähe des Abzugs, um sofort feuern zu können, wenn sie es müssen. Sie beobachten jede noch so kleine Bewegung, während sie in großen Schritten auf die Zielperson zugehen. „Er ist es! Jackpot, Jackpot!“, raunt der Kommandoführer. Es gibt für die Zielperson keinen Ausweg aus dieser Situation. Die Wohnung befindet sich im vierten Stock – zu hoch, um durch das Fenster zu fliehen. Der Tatverdächtige, der „Tango“, greift nach einer Pistole in seinem Hosenbund. Er muss mit einem solchen Zugriff gerechnet haben. Doch die Waffe zu ziehen, gelingt ihm nicht mehr. Sofort wird er von zwei Soldaten zu Boden gebracht. Sie schlagen die Pistole weg, kreuzen die Hände des Tangos auf dem Rücken, während ihm die „Acht“ um die Handgelenke gelegt wird. Eine umgangssprachliche Bezeichnung für Handschellen. Die gleiche Stimme, die zuvor „Hände hoch“ brüllte, gibt nun das Kommando „Tango secure!“. Die konzentrierten Blicke entspannen sich – die Anspannung fällt von den Soldaten ab. Der Zugriff war erfolgreich, denn die Zielperson wurde festgenommen.

22 Kilo Spezial-Ausrüstung, Ramme, Schild und Hund

Mit verbundenen Augen, in Handschellen und links und rechts von zwei Soldaten flankiert, wird der Tatverdächtige aus der Wohnung geführt. Nachdem der Tango an die Ermittlerinnen und Ermittler übergeben wurde, ist der Job für die Zugriffs-Durchsucher getan. Sie sichern und holstern ihre Waffen, die schweren Helme und Sturmhauben werden abgenommen. Es kommen menschliche Gesichter zum Vorschein, denen man die Anstrengung ansieht. Die Ausrüstung der spezialisierten Feldjägerkräfte wiegt rund 22 Kilogramm. Trotzdem müssen sie beim Zugriff leise, flexibel, vor allem aber schnell agieren. Sie selbst sagen von sich, dass Flexibilität und Selbstreflexion ihre großen Stärken sind: „Wir haben keine festen Positionen im Sturmkommando – jeder kann alles. Die Qualität der Soldaten ermöglicht, dass die in der Bundeswehr übliche Hierarchie gebrochen wird. Einer trifft eine Entscheidung, alle tragen sie mit“, sagt Oberstabsfeldwebel Joe*, der Kommandoführer und Regimentsbeauftragte. Er bildet alle Zugriffskräfte im Feldjägerregiment 2 aus und weiß, was er seinen Männern und Frauen abverlangt: „Wir versuchen hier mit der Übung ein sehr hohes Level zu fahren. Solche Lagen sind für uns auch nicht alltäglich. Aber wir müssen sie üben, damit wir für den Ernstfall vorbereitet sind.“

Stabsfeldwebel Joe*
Die Sturmhaube schützt nicht nur die Identität. Sie hat auch einen psychologischen Effekt. Man verkörpert den Auftrag, nicht den Menschen dahinter.

Außenstehende bekommen schon allein bei dem Gedanken Schweißausbrüche, sie müssten die Grundausrüstung eines solchen Soldaten tragen. Doch zu der kommen noch einige Kilo hinzu: Je nach Lage führen die Zugriffs-Durchsucher auch eine Ramme, einen Schutzschild, Sprengstoff oder eine „Fellrakete“ – einen Diensthund – mit sich. Joe* nennt nicht die schwere Ausrüstung und ihre falsche Handhabung als häufigste Fehlerquelle: „Meist liegen die Probleme in der Tätigkeit als Einzelschütze. Wenn die Handhabung der eigenen Waffe schon fehlerhaft ist und dann noch die Taktik hinzukommt, sind die Soldaten meist überfordert. Je spezialisierter man ist, desto mehr treten die Basics in den Hintergrund.“

Zugriffs-Durchsucher trainieren durchaus handfest: Sie müssen jede Übungslage ernst nehmen. Lagedarsteller Hauptgefreiter Simon Skrypon erzählt von seinen Erfahrungen, die das ein oder andere Mal auch schmerzhaft waren.

Lageänderung: Der Täter ist im fahrenden Auto

Das Training geht weiter. Auf dem Programm stehen nun Ad-Hoc-Zugriffe. Um sie zu üben, sollen die spezialisierten Feldjägerkräfte nun einen Täter aus einem Fahrzeug heraus festnehmen. Dazu müssen sie das fahrende Auto stoppen und den Fluchtweg abschneiden. Neben dem Tango auf dem Beifahrersitz befindet sich aber eine unbeteiligte Person, die die Zugriffskräfte „Uniform“ nennen. Uniform darf nichts passieren, wenn die Kräfte den Tatverdächtige aus dem Fahrzeug holen. Kommandoführer Joe* sagt: „Das Festnehmen, während sich die Zielperson im Fahrzeug befindet, nennt man einen Zugriff bei günstiger Gelegenheit. Wenn der Täter das Fahrzeug nicht freiwillig entriegelt, ist das kein Hindernis für uns. Wir können das Fahrzeug entglasen, also alle Scheiben kaputt machen und ihn dann aus der Fensteröffnung rausziehen.“ Die Feldjäger wissen, wo ihre Grenzen des Handelns liegen: Sie dürfen nur die Mittel anwenden, die zur Auftragserfüllung angemessen sind. Und um diese Handlungssicherheit zu garantieren, müssen die Soldaten und Soldatinnen regelmäßig mit Extremlagen trainieren.

Ein Übungsteilnehmer sagt: „Von außen betrachtet sehen unsere Methoden rabiat aus. Wenn wir für Zugriffe eingesetzt werden, dann wurde im Vorfeld bereits aufgeklärt, dass es sich um einen Straftäter handelt. Es liegt eine konkrete Bedrohungslage vor, da geht es dann nicht mehr um Nettigkeit, sondern darum, andere Menschen und auch uns selbst zu schützen.“

  • Ein Soldat mit Helm und Schutzweste zielt mit seinem Gewehr auf eine Wohnungstür. Drei weitere Soldaten stehen hinter ihm.

    Zugriffs-Durchsucher in der Annäherungsphase: Sie sind mit dem Gewehr G36k sowie der Pistole P8 bewaffnet. Zur Ausrüstung gehören auch schwer entflammbare Einsatzanzüge, Sturmhauben zum Identitätsschutz sowie ballistische Westen und Helme.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Soldat mit Helm hockt über einer am Boden liegenden Person und hält diese fest.

    „Tango secured“: Der Täter wurde identifiziert und festgenommen. Im zweiten Schritt können die Beweise gerichtsverwertbar gesichert werden.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Ein Soldat mit Helm und Schutzweste steht mit einer Ramme in der Hand vor einer Tür. Weitere Soldaten stehen neben ihm.

    Klingeln können sie ja nicht: Zur Ausrüstung eines SWAT-Kommandos der Feldjäger gehört auch eine Türramme.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Zwei Soldaten mit Helm und Schutzweste stehen mit ihren Gewehren im Anschlag in einem Zimmer.

    Ob in Hotelanlagen, in Industriehallen, in Wohnungen oder auch Fahrzeugen – die spezialisierten Feldjägerkräfte sind für alle Einsatzszenarios vorbereitet. Ihre Kernkompetenz: flexibel auf Lageänderungen reagieren.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Mehrere Soldaten stürmen von allen Seiten auf ein Fahrzeug zu, in dem eine Person hinter dem Steuer sitzt.

    „Hände auf das Lenkrad und sehen Sie mich an“, lautet eine der Anweisungen, wenn Zugriffskräfte eine Zielperson aus dem Fahrzeug heraus festnehmen. Mindestens drei pro Fahrzeugseite werden benötigt, um einen KFZKraftfahrzeug-Zugriff zu ermöglichen.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke
  • Zwei Soldaten ziehen eine Person aus einem Fahrzeug. Zwei weitere Soldaten sichern die Umgebung.

    Verriegelte Autotür – kein Hindernis: Beim KFZKraftfahrzeug-Zugriff werden die Autoscheiben eingeschlagen und die Zielperson aus dem Fenster gezogen. Die Feldjägerkräfte üben das während des Lehrgangs ausgiebig, um Fehlerquellen zu beseitigen.

    Bundeswehr/Sebastian Wilke

*Um die Identität zu schützen,  verzichten wir auf die Namensnennung.

von Lara Weyland

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