Kämpfen im Grenzbereich: Die Geschichte der Spezialkräfte

Kämpfen im Grenzbereich: Die Geschichte der Spezialkräfte

Datum:
Ort:
Berlin
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6 MIN

Spezialkräfte entscheiden keine Kriege. Trotzdem verfügt fast jeder Staat über sie. Warum sind sie so wichtig? Welche Ursprünge und Vorläufer haben die deutschen Spezialkräfte? Militärhistoriker Sönke Neitzel erklärt ihre Hintergründe und Entwicklung.

Drei KSK-Soldaten laufen vor einem Hubschrauber

Das KSKKommando Spezialkräfte – hier bei einer Übung im Jahr 1997 – soll Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im Ausland befreien. Struktur und Ausbildung orientieren sich an britischen und amerikanischen Spezialeinheiten.

picture-alliance/dpa/Martin Athenstädt

Erster Einsatz – ohne Erfolg

Am 26. August 1939 schlich Hauptmann Hans-Albrecht Herzner mit rund 30 Soldaten von der Slowakei aus zum polnischen Jablunka-Pass. Er sollte ihn im Handstreich einnehmen und für die nachrückenden Truppen der Wehrmacht sichern. Die erste Kommandooperation des Zweiten Weltkrieges fand noch vor dessen offiziellem Beginn statt. Allerdings konnten weder der Pass noch der nachgelegene Eisenbahntunnel eingenommen werden. Die Männer zogen sich zur slowakischen Grenze zurück.

Herzner unterstand dem Amt Ausland Abwehr, dem Auslandsnachrichtendienst der Wehrmacht. Und dieser führte mit anderen Soldaten im September 1939 dann etliche erfolgreichere Kommandooperationen hinter den polnischen Linien durch. Die Soldaten wurden wenig später unter dem Decknamen Baulehrkompanie z. b. V. (zur besonderen Verwendung) in der Stadt Brandenburg an der Havel bei Berlin stationiert, woraus sich die umgangssprachliche Bezeichnung „Brandenburger“ ableitete.

Ein Porträt von einem Mann
Kai Bublitz
Prof. Dr. Sönke Neitzel ist Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam.

Keimzelle Fallschirmjäger

Eine andere Keimzelle der deutschen Spezialkräfte waren die Fallschirmjäger der Luftwaffe. 1936 nach sowjetischem Vorbild aufgestellt, war die Wehrmacht die erste Armee, die den Überraschungsangriff aus der Luft im Krieg durchführte. Am bekanntesten ist die Ausschaltung des belgischen Sperrforts Eben-Emael am 10. und 11. Mai 1940 durch 78 deutsche Fallschirmpioniere, die mit Lastenseglern auf dem Dach des Forts landeten.

Eben-Emael gilt bis heute als Prototyp der Kommandooperation aus der Luft. Solche Einsätze gab es nach 1941 kaum noch, während die „Brandenburger“ weiter in Europa, aber auch in entfernteren Gebieten im Nahen und Mittleren Osten eingesetzt wurden. Wirklich bedeutend waren ihre Unternehmungen aber nie, was auch an den internen Rivalitäten zwischen dem Amt Ausland Abwehr und der SS lag.

British Commandos als Vorbild

Auf deutscher Seite verloren die Kommandooperationen im Zweiten Weltkrieg schnell an Bedeutung. Aufseiten der Alliierten nahmen sie hingegen immer weiter zu. Im Juni 1940 führten die Briten ihren ersten Kommandoeinsatz, den Raid, an der französischen Küste durch und bauten dann im Laufe des Krieges zahlreiche Spezialverbände auf. So waren die British Commandos bald auch die Vorbilder für ähnliche Verbände ihrer Alliierten, insbesondere der USUnited States-Amerikaner. Im internationalen Vergleich hatte Großbritannien wohl die größte Affinität zu dieser Art der Kriegsführung.

Bis heute sind die Heldengeschichten von erfolgreichen Kommandounternehmen in englischen Filmen, Romanen und Sachbüchern prominent vertreten. Allerdings entspricht der mediale Stellenwert kaum ihrer historischen Bedeutung. Der Zweite Weltkrieg war ein Krieg der industriellen Massenarmeen, der in den Fabrikhallen gewonnen wurde. Spezialoperationen waren nicht mehr als eine Fußnote. Trotzdem gilt der Zweite Weltkrieg als Geburtsstunde der modernen Spezialkräfte.

Schwarz-Weiß-Bild: US-Präsident John F. Kennedy steht zwischen amerikanischen Soldaten

Unter USUnited States-Präsident John F. Kennedy wurden die amerikanischen Spezialkräfte massiv ausgebaut. Die USA verfügen heute über zahlreiche Spezialeinheiten und gelten als weltweite Nummer eins in diesem Bereich.

Alamy Stock Photo/Gibson Moss

USA als Weltführer

In den Vereinigten Staaten spielten solche Verbände zunächst eine deutlich geringere Rolle. Das änderte sich mit dem asymmetrischen Krieg im Dschungel Vietnams Anfang der 1960er-Jahre. Präsident John F. Kennedy baute die Spezialkräfte massiv aus, die USA übernahmen auch in diesem Bereich der Kriegsführung gewissermaßen die Weltführerschaft. Special Forces, Ranger und Delta Force des Heeres, aber auch die Navy Seals der Marine übernehmen bis heute eine große Zahl von Aufgaben zur Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung oder auch Aufklärungs- und Kommandoaktionen aller Art.

Mittlerweile haben praktisch alle Länder Spezialkräfte. Und doch ist ihr Stellenwert in den jeweiligen Armeen sehr unterschiedlich. Von Bedeutung waren sie vor allem für jene Nationen, die nach 1945 in asymmetrische Imperialkriege verwickelt waren.

Fernspäher erste Spezialkräfte des Heeres

In der Bundesrepublik Deutschland standen seit der Wiederbewaffnung 1955 die atomare Bedrohung und ein möglicher konventioneller Krieg zwischen den beiden Supermächten im Fokus. Spezialkräfte führten darin ein Nischendasein: 1962 wurde aus den Panzeraufklärern die Truppengattung der Fernspäher gebildet. Ihre Aufgabe waren weniger Sabotageaktionen als die Augenaufklärung im feindlichen Hinterland. Sie sollten sich im Falle eines Angriffes des Warschauer Paktes überrollen lassen, um dann aus ihren Verstecken heraus sowjetische Truppenbewegungen zu melden.

In den 1970er-Jahren zeigte sich auf den jährlichen Korpsgefechtsübungen, wie hilfreich die Fernspäher für das Lagebild waren. Bei mancher Übung lieferten sie die besten Informationen über den Feind. Ab Mitte der 1980er-Jahre experimentierte man dann mit Absprüngen aus 8.000 Metern Höhe, um die Trupps mit Gleitschirmen hinter die feindlichen Linien bringen zu können.

Bereits seit 1959: die Kampfschwimmer

Auch die Marine hatte mit ihren Kampfschwimmern 1964 eine kleine Spezialeinheit in Kompaniestärke aufgestellt. Eine erste Kampfschwimmergruppe gab es bereits seit 1959. Sie gingen zurück auf die „Meereskämpfer“ der Kriegsmarine, die mit den ersten primitiven Tauchgeräten 1944/45 Kommandoaktionen durchgeführt und Brücken im feindlichen Hinterland gesprengt hatten. An diese Erfahrungen wurde angeknüpft. Im Kalten Krieg sah das Einsatzszenario vor allem vor, Haftminen an feindlichen Schiffen anzubringen, aber auch die Zerstörung von Brücken hätte wohl zu ihren Aufgaben gehört.

Ruanda als Schlüsselmoment

Das Ende des Kalten Krieges änderte den sicherheitspolitischen Rahmen Deutschlands grundlegend. Die Zeichen standen auf Auslandseinsätze, die man bislang vermieden hatte. Bereits 1989/90 begannen die drei Luftlandebrigaden damit, je eine Kommandokompanie aufzustellen. Als 1994 mehrere Mitarbeiter der Deutschen Welle und ihre Familienangehörigen im Bürgerkrieg in Ruanda eingeschlossen waren, wurde ihr Einsatz erstmals erwogen, aber schließlich doch abgesagt.

Belgische Fallschirmjäger waren ohnehin vor Ort und konnten schneller reagieren. Sie hatten zudem Orts- und Landeskenntnis und brachten die elf Männer und Frauen in Sicherheit. Für Deutschland war der Vorfall gleichwohl ein Weckruf: Nach außen wirkte es so, als ob das Land nicht in der Lage wäre, seine Staatsbürger selbst aus Gefahrensituationen zu retten. 1996 verfügte Verteidigungsminister Volker Rühe die Aufstellung des Kommando Spezialkräfte (KSKKommando Spezialkräfte), um für solche Fälle gewappnet zu sein.

Erste Einsätze des KSKKommando Spezialkräfte

Eingesetzt wurde das KSKKommando Spezialkräfte ab 1998 dann aber nicht zur Geiselbefreiung, sondern zu anderen Spezialaufgaben. Die ersten Einsätze auf dem Balkan galten der Festsetzung serbischer Kriegsverbrecher. Es folgten Missionen im Kosovo, vor allem in Afghanistan, aber auch in Asien und Afrika.

Obgleich über die Einsätze nur wenig Konkretes bekannt wurde, ist gesichert, dass es einen fundamentalen Unterschied zum Einsatz etwa von USUnited States-Spezialkräften gibt: Das KSKKommando Spezialkräfte wurde nicht in nächtlichen Kill Operations eingesetzt, um Todeslisten „abzuarbeiten“. Seine Aufgaben in Afghanistan waren die Festsetzung von Talibanführern und die Ausbildung der afghanischen Spezialkräfte.

Auch im Frieden im Krieg

Heute ist das KSKKommando Spezialkräfte weniger wegen seiner Einsätze, sondern wegen rechtsextremer Umtriebe in den Schlagzeilen. Und auch in anderen Ländern fielen Spezialkräfte negativ auf. Zuletzt wurden den australischen Special Forces Kriegsverbrechen in Afghanistan nachgewiesen. Sind solche Verbände wegen ihrer besonderen Aufträge, ihres harten Trainings, ihres Korpsgeistes und ihres Elitebewusstseins grundlegend anders als die übrigen Streitkräfte? Haben sie eine höhere Affinität zur Gewalt und zu politischem Extremismus? Sind sie gar eine Gefahr für die Demokratie?

Das Besondere an den Spezialkräften ist, dass sie auch im Frieden im Krieg sind. In vielen westlichen Ländern wird akzeptiert, dass die Männer und Frauen der Verbände deshalb eine besondere Kultur ausprägen. Kriegsverbrechen werden gewiss nicht geduldet, zumal, wenn sie öffentlich bekannt werden. Aber Gewaltaffinität gilt dort vielfach nicht als Makel, sondern als Leistungsmerkmal, was nicht zuletzt an Büchern und Filmen wie „American Sniper“ abzulesen ist.

  • Schwarz-Weiß-Bild: Fort Eben-Emael am Albert-Kanal

    Die Stürmung des Sperrforts gilt als Prototyp für Kommandoaktionen aus der Luft. Fallschirmpioniere landeten mit Lastenseglern auf dem Dach des Forts. Sie hielten es und die anliegenden Brücken, bis die konventionellen Kräfte nachrückten.

    Bundesarchiv
  • Schwarz-Weiß-Bild: Zwei Soldaten sitzen auf einem Fahrzeug und schauen auf ein Dokument

    Die Einheit um Hauptmann Hans-Albrecht Herzner wurde als „Brandenburger“ bekannt. Sie führte im Zweiten Weltkrieg viele Operationen hinter feindlichen Linien durch, oft getarnt mit feindlichen Uniformen.

    Bundesarchiv
  • Schwarz-Weiß-Bild: US-Soldaten mit bemalten Gesichtern im Dschungel in Vietnam

    Im Vietnamkrieg haben Spezialeinheiten gezielte Kommandoaktionen durchgeführt. Sie erwiesen sich als sehr effektiv im Krieg gegen einen irregulär kämpfenden Feind.

    Keystone Press/Alamy Stock Photo
  • Schwarz-Weiß-Bild: Ein Soldat mit Fernglas schaut aus der Luke eines Panzers, ein Hubschrauber in der Luft

    Die Panzeraufklärer konnten sich vor den eigenen Linien bewegen und feindliche Kräfte aufklären. Aus ihnen sind die Fernspäher hervorgegangen.

    Bundeswehr/Siwik
  • Schwarz-Weiß-Bild: Soldaten mit Kraka (Kraftkarren) beim Entladen eines Transporthubschraubers CH-53

    Spezialität der Fallschirmjäger sind schnelle Luftlandeoperationen der Truppe und ihres militärischen Gerätes.

    Bundeswehr
  • Schwarz-Weiß-Bild: Zwei Kampfschwimmer in Tauchbekleidung auf einem U-Boot

    Die Kampfschwimmer sind die älteste Spezialeinheit der Bundeswehr. Sie wurden 1959 Teil der Marine, um während des Kalten Krieges Kommandooperationen in Nord- und Ostsee durchführen zu können.

    Bundeswehr/Siwik
  • Volker Rühe spricht in die Kamera, im Hintergund angetretene Soldaten

    Verteidigungsminister Volker Rühe trieb die Gründung des KSKKommando Spezialkräfte 1996 voran, nachdem Deutschland während des Bürgerkrieges in Ruanda auf internationale Hilfe angewiesen war

    imago/photothek/Ute Grabowsky

Fehlentwicklungen entgegentreten

In Deutschland ist die Situation eine andere. Hier werden die Streitkräfte zumindest in der öffentlichen Debatte vor allem vom Frieden her gedacht. Soldatinnen und Soldaten gelten als bewaffnete Aufbauhelfer, als eine Art Sozialarbeiter. In dieses Bild passt der von ihren Aufträgen und ihrer Ausbildung geformte rustikale Habitus von Spezialkräften nicht recht hinein. Allerdings versäumte die Bundeswehr auch, sich früher, aktiver und geordneter um die „Stammeskultur“ etwa des KSKKommando Spezialkräfte zu kümmern. All dies trug dazu bei, dass es zu Fehlentwicklungen im Umgang mit Regeln und Normen der Streitkräfte kam.

Wie geht es weiter? Spezialverbände werden aufgrund ihrer besonderen Aufgaben immer einen eigenen Habitus haben. Aber sie sind gewiss nicht das böse, schwer erziehbare Kind der Streitkräfte. Ihre Angehörigen müssen ohne Wenn und Aber auf dem Boden der Verfassung stehen. Aber es gibt auch eine Bringschuld der politischen und militärischen Führung: Sie müssen offen zu den Aufträgen und dem Charakter eines Verbandes wie dem KSKKommando Spezialkräfte stehen, der seit seiner Aufstellung mehr mit Töten und Sterben zu tun hatte als jeder andere in der Bundeswehr.

von Sönke Neitzel

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