Sukkot

„Freiheit und Frieden immer wieder neu erkämpfen“: Laubhüttenfest im Militärrabbinat

„Freiheit und Frieden immer wieder neu erkämpfen“: Laubhüttenfest im Militärrabbinat

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
6 MIN

„Damit künftige Geschlechter es erfahren, dass ich in Hütten habe wohnen lassen die Kinder Israel, als ich sie herausgeführt aus dem Lande Ägypten“, begründet die Thora (Leviticus 23:43) das Gebot, eine Woche in Hütten zu wohnen und zu speisen: Im Herbst feiern Jüdinnen und Juden das Laubhüttenfest Sukkot. So luden auch das Militärrabbinat und die Synagoge Rykestraße am 4. Sukkottag 5783, am 13. Oktober 2022, zum Feiern in die Hütte, genannt Sukka (Mehrzahl: Sukkot).

Tischgesellschaft in einer Laubhütte. Die Männer tragen Kippot oder Hüte.

Gemeinschaft in der Laubhütte: An Sukkot speisen Juden und Jüdinnen in der Laubhütte, genannt Sukka, und empfangen darin Gäste.

Bundeswehr / Eszter Hidasi

Die Synagoge in Berlin-Prenzlauer Berg, deutschlandweit die Synagoge mit dem größten Betsaal, beheimatet in ihrem Hof mehrere Sukkot, darunter eine ganz besondere: Die historische Sukka, die in den 1920er Jahren errichtet wurde, dann aber nie abgebaut wurde. Im Hinterhof hat die Sukka die nationalsozialistische Zerstörungswut überstanden und wurde 2012 restauriert.

An diesem historischen Ort luden der Militärbundesrabbiner Zsolt Balla und der Rabbiner der Synagoge Rykestraße Boris Ronis jüdische Soldaten und Soldatinnen zum Verweilen in der Sukka und einem gemeinsamen Mahl. Gemäß dem Brauch an Sukkot, Gäste in der Sukka zu verpflegen, durften sie auch Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Seminars „Jüdisches Leben in Deutschland und der Staat Israel“ des Zentrums Innere Führung (ZInFüZentrum Innere Führung) und des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVgBundesministerium der Verteidigung) begrüßen und ihnen die Bräuche rund ums Laubhüttenfest erklären.

In der Thora geboten: Hintergrund des Laubhüttenfestes

Wie alle zentralen Feiertage des Judentums leitet sich Sukkot direkt aus der Thora, den fünf Büchern Mose, ab. Eine Übersicht bietet Leviticus 23, wo ab Vers 33 auch das Laubhüttenfest geboten und terminiert wird – „Am fünfzehnten Tage dieses siebenten Monats ist das Hüttenfest sieben Tage hindurch dem Herrn.“ (23:34) Natürlich basieren diese Angaben auf dem jüdischen Kalender, einem Lunisolarkalender, in dem reine Mondmonate zur Annährung an das Sonnenjahr in ca. jedem 3. Jahr um jeweils einen Schaltmonat ergänzt werden. Aus diesem Grund „wandert“ Sukkot von Jahr zu Jahr ein wenig durch den bürgerlichen Kalender, findet aber immer zwischen Anfang September und Ende Oktober statt.
 

Ein Rabbiner hält eine Zitrusfrucht und Zweige von Bachweiden, Myrte und Palme.

Alle vier Arten zusammen: Militärbundesrabbiner Zsolt Balla demonstriert die Segnung der "Arba Minim".

Bundeswehr / Eszter Hidasi


In Hütten sollt ihr wohnen sieben Tage“, heißt es in der Thora (Leviticus 23:42), doch was macht eine Hütte im Gegensatz zu einem Haus aus? Definiert wird dies in der Mischna, dem mündlichen Teil der g’ttlichen Überlieferung, die Moses nach jüdischer Tradition neben der schriftlichen Thora am Berg Sinai erhielt. Eine Hütte muss dem Teil (Traktat) der Mischna über die Feiertage zufolge mindestens drei Wände und ein Dach aufweisen, das zwar nicht dicht ist, aber dennoch den größten Teil der Hütte unter Schatten stellt.

Eine Konstruktion soll es also sein, die keinen dauerhaften Aufenthalt über Sukkot hinaus gestattet. Eine Woche lang soll man ein Stück weit die Zeit nach dem Auszug aus Ägypten nachempfinden und sich so vergegenwärtigen, dass Vieles an Bequemlichkeit, das wir im Alltag genießen, gar nicht so selbstverständlich ist. „In den vergangenen Monaten erschütterte der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine unser Weltbild: Seit dem 24. Februar ist unser Stabilitätsgefühl weg“, hebt Rabbiner Balla hervor. „Die Laubhütte erinnert uns daran, dass Stabilität immer temporär ist. Jedes Jahr aufs Neue müssen wir sie vom Neuen aufbauen. Auch Freiheit und Frieden müssen immer wieder erkämpft werden – wir dürfen niemals den Fokus verlieren.“ Gleichzeitig steht die Sukka aber auch für Gemeinschaft: Beschränkt ist ihre Größe nur in eine Richtung, nach oben. Sie kann also so groß sein, wie benötigt wird, um alle zu beheimaten: Niemand soll ausgeschlossen werden.

Die Thora schreibt zudem vor, mal solle „eine Frucht vom herrlichen Baum, Palmzweige und Zweige von der Myrte und Bachweiden“ (Leviticus 23:40) nehmen und sich vor G‘tt freuen. Aus diesem Vers wird die Segnung der „Arba Minim“, der vier Arten, abgeleitet – die genannten Zweige und die Zitrusfrucht Etrog, als die die „Frucht des herrlichen Baums“ verstanden wird. Rabbiner Balla erklärt, was diese auch als Zitronatzitrone bekannte Frucht so herrlich macht und welche Bedeutung die Zusammensetzung der Arba Minim hat: „Der Baum trägt eine Frucht, den Etrog, die darüber hinaus auch schön duftet. Die Myrte trägt keine Früchte, ihre Zweige duften aber schön. Die Palme trägt Dattelfrüchte, duftet aber nicht, und die Bachweide weist weder Duft noch Frucht auf.“ Diese Zusammensetzung sei analog zur Gesellschaft, die Menschen beinhalte, die über Weisheit verfügen, dieses aber wenig für die Gesellschaft einsetzen, wie auch diejenigen, die sich viel engagieren, ohne viel Wissen zu tragen, und schließlich diejenigen, die weder wissen noch handeln würden. „Die Vorbilder für eine Gemeinschaft sind aber diejenigen, die in sich Weisheit und gute Taten vereinen – wie ein Etrog, eine duftende Frucht. So sollen auch Soldaten sein, Vorbilder für die Gesellschaft.“ Da die Weiterentwicklung und Verbesserung der Gesellschaft nur gemeinsam möglich sind, werden die vier Arten bei der Segnung zusammengenommen und dann, damit der Fortschritt wirklich die gesamte Welt umfasst, in alle Richtungen geschüttelt – nach vorn und nach hinten, nach links und nach rechts, nach oben und unten, insgesamt sechsmal.

Blick in die Vergangenheit, Blick in die Zukunft

In der Laubhütte wohnen bedeutet nicht zuletzt, darin zu speisen. Bei Kaffee und Kuchen in der Sukka verwies der Militärbundesrabbiner im Gespräch mit den Gästen des Seminars auf die historische Dimension der Arbeit des Militärrabbinats. „Einzelne jüdische Soldaten dienten schon in den 1960er und 1970er Jahren in der Bundeswehr, thematisierten ihre Herkunft aber häufig nicht“, erzählte er. Nach der Einwanderung von Juden und Jüdinnen aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990ern und 2000ern sei die Gemeinschaft größer geworden, trete jetzt auch offener auf. Die Einrichtung des Militärrabbinats solle nun für Juden und Jüdinnen, die Dienst in der Bundeswehr und Religionsausübung vereinen wollen, den Weg bereiten: „Die Etablierung der Jüdischen Militärseelsorge ist der Anfang der Arbeit, es gibt noch sehr viel zu tun.“ Gleichzeitig wolle man auch in die jüdische Gemeinschaft hineinwirken: „Wir versuchen klarzumachen, dass die Bundeswehr nicht die Armee der Vergangenheit ist.“ Das übergeordnete Ziel sei schließlich, die Wehrbereitschaft der gesamten Gesellschaft, nicht allein ihres jüdischen Anteils, zu steigern. „Dies geht aber nur, wenn wir miteinander sprechen.“

Anschließend stellte Rabbiner Boris Ronis noch seine Synagoge vor. Das 1904 fertiggestellte G‘tteshaus wurde 1938 zwar verwüstet, entging einer vollständigen Zerstörung aber, da die Nationalsozialisten befürchteten, ein Brand könnte auf die Wohnhäuser in der Nachbarschaft übergreifen. Nach der Wiedereinweihung 1953 war die Synagoge eine der wenigen in der DDR, in der bis zum Mauerfall an jedem Schabbat und an jedem Feiertag G’ttesdienste stattfanden. In ihrer Geschichte befolgte die Synagogengemeinschaft je nach Rabbiner mal orthodoxen, mal einen liberalen Ritus – mit Boris Ronis dient derzeit ein Reformrabbiner.

Im Betsaal einer Synagoge steht ein Mann im Anzug und spricht mit weiteren Personen auf den Sitzbänken.

Rabbiner Boris Ronis stellt seine Synagoge vor. In der Rykestraße fanden auch zur DDR-Zeit an jedem Schabbat und an jedem Feiertag G’ttesdienste statt.

Bundeswehr / Eszter Hidasi

Zum Schluss hatten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Seminars noch eine Möglichkeit, Fragen rund um das jüdische Gemeindeleben und die Religion zu stellen. Bei einer angeregten Diskussion erweiterten sie so ihr Wissen über das heutige deutsche Judentum – um dem Idealbild des Soldaten, des „Etrogs“ der Gesellschaft, näher zu kommen. Gebunden wie Arba Minim können jüdische wie nichtjüdische Menschen, Bundeswehr wie Zivilgesellschaft Freiheit und Frieden immer wieder neu erkämpfen.


Im Judentum sind die Namen G‘ttes besonders heilig. Um Entweihung zu vermeiden, werden oft Ersatznamen oder, wie in diesem Fall, alternative Schreibweisen verwendet.

von Alexander Rasumny  E-Mail schreiben