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Bundeswehrexperte zum Häuserkampf: „Sie haben eine 360-Grad-Bedrohung“

Bundeswehrexperte zum Häuserkampf: „Sie haben eine 360-Grad-Bedrohung“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

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Die Schlacht um Bachmut zeigt: Der Kampf in urbanen Umgebungen ist zäh, brutal und äußerst verlustreich. Meist wird der Häuserkampf von der Infanterie im Nahkampf entschieden – aber auch Panzer und Artillerie kommen zum Einsatz. Was die Kriegsführung in einer Stadt ausmacht, weiß Oberstleutnant Andre Knappe vom Objektschutzregiment der Luftwaffe.

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Oberstleutnant Knappe ist Bataillonskommandeur beim Objektschutzregiment der Luftwaffe. Es ist auf den Schutz kritischer Infrastruktur spezialisiert. Mit „Nachgefragt“-Moderator, Hauptmann Richard Manner, spricht er über die urbane Kriegsführung.

„Der aktuelle Krieg in der Ukraine, aber auch künftige Kriege werden in urbaner Infrastruktur ausgetragen werden“, sagt Oberstleutnant Andre Knappe. Rund drei Viertel der Weltbevölkerung lebten in Städten, zudem konzentrierten sich hier kritische Infrastrukturen wie Verkehrs-, Kommunikations- und Versorgungswege. „All das findet in Ortschaften statt – und von daher sind Ortschaften von enormer Bedeutung“, so der Bataillonskommandeur beim Objektschutzregiment der Luftwaffe zu „Nachgefragt“-Moderator, Hauptmann Richard Manner.

Knappes Verband ist auf die Abwehr von Angriffen auf kritische Infrastrukturen spezialisiert – und damit auch auf den Kampf in Häusern und Straßen. Der sogenannte Orts- und Häuserkampf sei eine hochkomplexe Angelegenheit, so der Offizier. „Sie haben eine 360-Grad-Bedrohung, wenn sie in urbaner Infrastruktur operieren. Jede Straße kann ein Schusskanal sein. Sie können jederzeit in einen Hinterhalt geraten. Sie haben schnell wechselnde Kampfentfernungen: von einem Meter bis zu dann plötzlich 300 Metern.“

Enormes Leid der Zivilbevölkerung

Zusätzlich lebten häufig auch noch Zivilisten in der Stadt, so Knappe. Selbst in einer geräumten Stadt wie Bachmut in der Ostukraine würden noch Tausende Unschuldige in den Trümmern hausen. „Ohne Frage ist es die Zivilbevölkerung, die am meisten unter Kriegen in Städten leidet. Das ist ein enormes Leid. Die Bilder aus Bachmut sprechen für sich: Über 80 Prozent der sichtbaren Infrastruktur ist zerstört.“

Ukrainische und russische Truppen kämpfen seit Monaten um den Verkehrsknotenpunkt in der Ostukraine. Die Ortschaft habe sowohl für die Angreifer wie auch für die Verteidiger enormen Symbolwert, sagt Knappe. „Beide Seiten sind bereit, unheimlich viel Personal und Material einzusetzen, um Bachmut zu halten beziehungsweise Bachmut einzunehmen. Wir haben teilweise Tage, wo sie Verlustraten haben von 600 russischen Soldaten und auf der anderen Seite 100 ukrainischen Soldaten.“

Neben der strategischen und psychologischen Bedeutung Bachmuts ist diese „Abnutzungsrate“ laut Knappe ein weiterer Grund für die Ukraine, Bachmut zu halten. „Es ist durchaus denkbar, dass die russischen Streitkräfte so hohe Verluste haben und auch einen so hohen Munitionsverbrauch haben, dass sie nicht mehr genügend Personal in der Frühjahrsoffensive massieren können. Und dass sie nicht genügend Munition haben, um die Frühjahrsoffensive so erfolgreich durchzuführen, wie sie es möchten.“

Hoher Blutzoll im Häuserkampf

Neben Panzern und Artillerie sei die Infanterie für den Erfolg im Orts- und Häuserkampf entscheidend, so Knappe. Zudem sei die Aufklärung von großer Bedeutung – zum Beispiel durch Drohnen. Die angreifende Seite sei dabei prinzipiell im Nachteil, so der Häuserkampfexperte der Luftwaffe. „Grundsätzlich ist richtig, dass der Verteidiger hier in einer besseren Position ist und sie als Angreifer in der Regel das Drei- bis Fünffache an Kräften brauchen, um eine solche Stadt einzunehmen. Sie müssen im Orts- und Häuserkampf mit enormen Verlusten rechnen.“

Das mache die Einnahme einer Großstadt wie Kiew zu einer „fast unlösbaren Aufgabe“, so Knappe. Die russischen Streitkräfte hatten es zu Beginn des Krieges versucht. Ihre Offensive war aber in den Vororten der ukrainischen Hauptstadt gestoppt worden. „Es ist eine immense Aufgabe, das alles unter seine Kontrolle zu bringen“, sagt der Oberstleutnant. „Dafür brauchen sie sehr, sehr viel Personal.“ So hätte die Rote Armee zum Ende des Zweiten Weltkrieges eine halbe Million Soldaten aufbieten müssen, um die deutsche Hauptstadt Berlin im Häuserkampf zu erobern.

von Timo Kather

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