„Nachgefragt“

Ukrainischer Erfolg mit Kleinstdrohnen – die „Operation Spiderweb“

Ukrainischer Erfolg mit Kleinstdrohnen – die „Operation Spiderweb“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
6 MIN

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Anfang Juni startete die Ukraine ihre wohl bisher spektakulärste Militäroperation tief im Landesinneren Russlands. Mit über 100 Drohnen griff sie Flugplätze an. Rund zehn Prozent der russischen Langstreckenbomberflotte wurde dabei beschädigt oder zerstört. Generalmajor Dr. Christian Freuding ordnet die Operation und die aktuelle Lage ein.

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Generalmajor Dr. Christian Freuding leitet den Führungsstab im Verteidigungsministerium. Mit „Nachgefragt“-Moderator Hauptmann Jan Czarnitzki analysiert er die „Operation Spiderweb“ – den ukrainischen Drohnenangriff auf russische Langstreckenbomber.

Am vergangenen Wochenende hat die Ukraine mit Kleinstdrohnen unterschiedliche Flugplätze tief auf russischem Territorium angegriffen. Die Fernsehbilder der brennenden und zerstörten russischen Langstreckenbomber gingen um die Welt. Generalmajor Dr. Christian Freuding beschreibt gegenüber „Nachgefragt“-Moderator Hauptmann Jan Czarnitzki die veränderte Taktik: „Das Neue an diesem Angriff war, dass man bislang immer aus der Ukraine mit zumeist weitreichenden Drohnen die russischen Ziele bewirkt hat –  und jetzt hat man die Wirkmittel in Russland vorstationiert und koordiniert zum Einsatz gebracht. Koordiniert gegen Kräfte, die gerade in der Vorbereitung waren, um in der Ukraine eingesetzt zu werden. Und das mit großer Überraschung und veritablem Erfolg.“  

Russland ist das größte Flächenland der Welt. Die russischen Langstreckenbomber sind im Land verteilt stationiert. Die Vorstationierung ukrainischer Drohnen in der Nähe der russischen Flugplätze, die dann erst vor Ort in der Nähe ihrer Zielorte gestartet wurden, hat den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht wie bisher über hunderte Kilometer oder mehr durch die russische Luftverteidigung fliegen mussten. So liegt der erfolgreich angegriffene Militärflugplatz Olenja 1.400 Kilometer nördlich von Moskau in der Region Murmansk. Ein anderer getroffener Flugplatz, Belaja, liegt sogar rund 4.000 Kilometer östlich von Moskau entfernt in Sibirien.

Ziel waren die dort stationierte Fernfliegerkräfte wie die Überschall-Flugzeuge des Typs Tu-22 und die Langstreckenbomber des Typs Tu-95, die auch Teil der russischen Nuklear-Flotte sind. Sie werden konventionell mit ihren Bomben, Raketen und Marschflugkörpern regelmäßig zum Beschuss ukrainischer Städte eingesetzt. „Sie waren zum Teil unmittelbar vorbereitet für den Einsatz in der Ukraine“, erklärt Freuding die Videobilder, die der Bundeswehr von ukrainischer Seite zur Verfügung gestellt wurden. Das mache den Wert dieses Angriffs aus.

Wirkung auch psychologisch

Die rund eineinhalb Jahre vorgeplante „Operation Spiderweb“ erzielte auch über die rund ein Dutzend zerstörten Flugzeuge hinaus bedeutende Wirkung: Russland sei immer davon ausgegangen, dass die strategische Tiefe von mehreren tausend Kilometern schon für sich genommen für Schutz sorge. Dies habe sich über einen langen Zeitraum wie eingebrannt in die russische strategische Kultur. Das wurde nun durch die Ukraine widerlegt. Eine psychologische Wirkung gibt es auf beiden Seiten: Auf russischer Seite kann man nicht mehr auf die Sicherheit der Tiefe des Raumes vertrauen. Man werde jetzt andere Kräfte zum Schutz und zur Sicherung einsetzen, so Freuding. Es habe auch einen psychologischen, vertrauensstärkenden Effekt in die Ukraine hinein, ist sich der General sicher: „Die Streitkräfte und Sicherheitskräfte haben wieder einmal ihre Handlungsfähigkeit, ihre Planungsfähigkeit und ihre große Disziplin in der Durchführung von Operationen bewiesen.“

Gemeint ist auch der im zeitlichen Zusammenhang stehende Unterwasser-Angriff des ukrainischen Geheimdienstes auf die von russischer Seite stark gesicherte Krim-Brücke, bei dem rund eine Tonne Sprengstoff an einem Stützpfeiler detonierte. Auch wenn die Brücke nicht zum Einsturz gebracht worden sei, sei allein schon das Anbringen der Sprengmasse ein Erfolg. Denn wenngleich die Brücke aufgrund alternativer Verbindungen mittlerweile an logistischem Wert verloren habe, habe die von Putin errichtete Brücke eine große Bedeutung für Russland, so Freuding: „Nach dem ersten Angriff 2022 wurde die Brücke schnell und mit großem Aufwand repariert. Putin war dann der Erste, der über diese reparierte Brücke gefahren ist. Man sieht den hohen symbolischen Wert.“

Der General verweist in Bezug auf die zerstörten Flugzeuge auf mittelfristige Effekte: „Es wird nicht morgen oder übermorgen zu einer Abnahme russischer Luftangriffe führen.“ Es stünden immer noch rund 90 Prozent der russischen Langstreckenflotte zur Verfügung. Russland habe die Luftüberlegenheit über die vorübergehend besetzten Gebiete in der Ukraine. Aber der Typ der getroffenen Flugzeuge werde nicht mehr hergestellt, so könnten die beschädigten Flugzeuge nicht mehr als Ersatzteillager genutzt werden. Die in den Flotten noch vorhandenen Flugzeuge würden mittelbar mehr beansprucht und abgenutzt werden.  

Stand der Friedensverhandlungen

Die direkten Friedensverhandlungen in Istanbul gestalten sich kompliziert, die zweite Runde wurde Anfang Juni beendet. General Freuding erläutert, welche Auswirkungen es für die Ukraine hätte, wenn sie auf die aktuellen Waffenstillstandsbedingungen Russlands eingehen würde: „Sie gleichen eher einem Diktatfrieden als einem ernsthaften Vorschlag.“ Er nennt einige Beispiele: Es wurde verlangt, dass sich die ukrainischen Streitkräfte aus den von Russland völkerrechtswidrig annektierten Gebieten zurückziehen, damit auch die ganzen Verteidigungsstellungen im Prinzip in russische Hände zu übergeben. Der Ukraine sollten Beschränkungen bei Rüstung, bei der Stärke ihrer Streitkräfte, bei der Ausrüstung ihrer Streitkräfte auferlegt werden, die sie de facto verteidigungsunfähig mache. „Das würde bei einer Zustimmung im Prinzip nur einer Vorbereitung der nächsten Aggression Russlands dienen.“

Weitere internationale Unterstützung der Ukraine

„Deutschland ist weiterhin der größte Unterstützer der Ukraine in Europa“, so Freuding. Neben weiterer militärischer Unterstützung wie Landwaffensystemen und Munitionspaketen haben Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein ukrainischer Amtskollege Rustem Umerov bei ihrem Treffen Ende Mai in Berlin weitere Hilfen vereinbart – so beispielsweise, dass Deutschland künftig die Produktion von weitreichenden Waffensystemen in der Ukraine finanzieren wird. Am 4. Juni tagte die Ukraine-Kontaktgruppe im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier in Brüssel. Fast 50 Nationen waren vor Ort, um gemeinsam weitere Unterstützungsmaßnahmen zu beschließen.

General Freuding zieht ein Resümee der vergangenen Tage: „Nach dieser dichten Woche kann man drei Dinge festhalten. Erstens: Russland ist nicht wirklich an einem Frieden interessiert, führt Verhandlungen zum Schein. Zweitens: Die Ukraine ist in der Lage, in die Initiative zu gehen, sich selbst –  unterstützt durch Partner - in eine Position der Stärke zu bringen, aus der dann Verhandlungen eingeleitet werden können. Und drittens: Die Ukraine kann sich auf ihre Partner verlassen.“

von Sebastian Bangert

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