Kontrolle im elektromagnetischen Raum
Elektronische Kampfführung schützt, täuscht und stört – und ist entscheidend für Informationsüberlegenheit im Gefecht.
Stören, aufklären, schützen: Der Krieg in der Ukraine hat den Kampf mit elektromagnetischen Mitteln auf ein neues Level gehoben, sagt Oberst i. G.im Generalstabsdienst Sönke Marahrens. Der Informationstechnik- und Sicherheitsexperte vom Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr erklärt die aktuellen Entwicklungen in der Elektronischen Kampfführung.
Elektronische Kampfführung gehört zu den zentralen Feldern moderner Kriegsführung. Sie findet in einem Raum statt, in dem Angriffe scheinbar unsichtbar sind: dem elektromagnetischen Spektrum. Russland nutzt diesen Bereich inzwischen offensiv in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine, manipuliert Navigationssysteme und stört Kommunikationswege. Der Grund ist klar: „Wer führen will, braucht Kommunikation“, so Marahrens „und diese Kommunikation kann man beeinflussen“.
Die Auswirkungen betreffen dabei nicht nur militärische Kräfte, erklärt der Experte im Gespräch mit „Nachgefragt“-Moderator Hauptmann Jan Czarnitzki. Würden Signale gestört oder verfälscht, könnten zivile Systeme ebenfalls beeinträchtigt werden, zum Beispiel beim Angriff auf GPSGlobal Positioning System-Daten. „Beim GPSGlobal Positioning System-Signal muss man wissen, da hängt nicht nur die Navigation dran, da hängt zum Beispiel auch Ihr Bankaccount dran“, erklärt Marahrens. Selbst moderne Landwirtschaft sei betroffen: Schon eine kleine Verschiebung des GPSGlobal Positioning System-Signals eines Traktors um wenige Meter könne zu massiven Ernteeinbußen bei der Düngung der Felder führen.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führe eindrucksvoll vor Augen, welche Wirkung elektronische Angriffe entfalten können, so Marahrens. Während Russland zu Beginn des Krieges noch recht schwach aufgestellt gewesen sei, habe sich das geändert, als ukrainische Drohnen zunehmend einen taktischen Vorteil erbracht hätten. Da „haben die sehr schnell ihre Elektronische Kampfführung mit reingebracht“, erklärt der Experte.
Russland verfüge über fünf Brigaden für Elektronische Kampfführung – zwei davon im Westen – also in unmittelbarer Nähe zu Europa, so Marahrens. Neben dem Stören von Führungssystemen komme es von dort auch zu gezielten Angriffen auf die digitale Infrastruktur der Ukraine. Ziele seien beispielsweise die Satellitenkommunikation oder die Radarsysteme – vor allem die der Luftverteidigung.
Auch europäische Staaten würden die Auswirkungen spüren, fügt der Experte hinzu. So komme es regelmäßig zu Stör- und Ausspähversuchen und betrügerische „
Elektronische Angriffe von Russland seien Teil der hybriden Kriegführung. Ziel sei es oft nicht, großen Schaden auf einmal anzurichten, sondern gesellschaftliche Unzufriedenheit zu erzeugen, erklärt Marahrens. China nenne diese Taktik „Strategie der tausend Papierschnitte“. Beispielsweise seien Drohnensichtungen über Flughäfen Belege für diese Art von Angriffen.
Zu diesem Muster gehöre auch Drohnenaufklärung über kritischen Infrastrukturen, Häfen oder Industrieanlagen, so der Oberst. Allerdings seien Drohnen nicht automatisch ein EloKaElektronische Kampfführung-Mittel, jedoch könne man sie zu einem machen, so Marahrens. Zum Beispiel könne eine Drohne mit einem angehängten Störsender ins Zielgebiet geschickt werden, „sodass Sie im Grunde im Nahbereich eines Radiosenders plötzlich nicht mehr funken können“.
Die Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg habe in der Bundeswehr zu einem deutlichen Umdenken geführt, so Marahrens: „Die Ukraine war ein Eye-Opener.“ Die Truppe werde nun umfassend modernisiert. 1,7 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen und dem Einzelplan 14 würden allein in neue EloKaElektronische Kampfführung-Fähigkeiten fließen, die Zahl der Bataillone steige von vier auf sechs und moderne Systeme würden von nun an noch konsequenter auf Härtung und die Steigerung von Redundanzen ausgelegt.
Ein Schwerpunkt dabei liege auch auf der Analyse des russischen Angriffskriegs. „Welche Wirkmittel werden da zum Einsatz gebracht? In welchen Frequenzen wird gearbeitet?“, so Marahrens. Diese Erkenntnisse flössen direkt in die Weiterentwicklung der Truppe. Trotz der Einsparungen der letzten Jahrzehnte habe die Bundeswehr das gesamte Fähigkeitsspektrum der Elektronischen Kampfführung vorgehalten, sodass Fähigkeiten nur ausgebaut und nicht neu erfunden werden müssten, erklärt der Experte. Man könne sich so darauf fokussieren „die EloKaElektronische Kampfführung wirklich mit dem auszustatten, was sie heute braucht“.
Die EloKaElektronische Kampfführung-Truppe gilt innerhalb der Bundeswehr als Vorreiter beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz. KIkünstliche Intelligenz werde im Schwerpunkt genutzt, um eine große Menge an Daten schnell auf Muster untersuchen zu können, sagt Marahrens. Sein Bereich im Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr betreibe dafür ein eigenes KIkünstliche Intelligenz-Labor, dessen Erkenntnisse schon jetzt in neue Systeme einfließen. „Das heißt, da ist die EloKaElektronische Kampfführung sogar Trendsetter in der Anwendung von KIkünstliche Intelligenz als Nutzung zur Auswertung von großen Massendaten“, betont der Oberst.
Das sei wichtig, denn Elektronische Kampfführung könne Kommunikation, Navigation und Führungssysteme massiv beeinträchtigen. Auch ein Totalausfall sei daher Teil militärischer Planungen, so Marahrens. Dann müssten ältere, robuste Verfahren greifen: „Es beginnt beim einzelnen Soldaten mit der Karte.“ Auch Kradmelder, also Soldatinnen und Soldaten, die als Melder auf Krafträdern eingesetzt werden, oder andere manuelle Verfahren der Orientierung und Führung blieben wichtige Rückfallebenen. Für Marahrens ist klar: „Sie brauchen da Backup-Systeme, Sie brauchen Redundanzen.“
von Arthur Galbraith