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Ausbildung

Der Katastrophe einen Schritt voraus

Der Katastrophe einen Schritt voraus

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
5 MIN

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Das Wahlpflichtfach „Katastrophenmedizin“ für Medizinstudentinnen und -studenten ist 2020 erstmals in Hamburg gestartet und hat sich erfolgreich etabliert. Initiiert wurde die bisher bundesweit in Umfang und Konzeption einzigartige Ausbildung durch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (BwKrhsBundeswehrkrankenhaus Hamburg).

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Besonderer Augenblick für die Medizinstudentinnen und -studenten: Oberfeldarzt Dr. Daniel Christian H. erklärt das Vorgehen des Sondereinsatzkommandos.

Es fallen Schüsse. Direkt auf dem Gelände des BwKrhsBundeswehrkrankenhaus Hamburg stürmen drei vollvermummte Männer mit einem Verletzten an einer Gruppe von 20 Studierenden vorbei. Letztere blicken gespannt auf das Übungsszenario. Vor ihnen versorgt ein Team des Spezialeinsatzkommando (SEKSondereinsatzkommando) der Polizei den angeschossenen Kollegen.

Die Übung der Spezialeinheit des Landeskriminalamtes der Polizei Hamburg ist real. Die verwendete Munition ist es nicht. Ein Mitglied der Spezialkräfte erklärt ausführlich, warum jeder Schritt bei der Erstversorgung des Kollegen so wichtig ist und ab wann die Notärztin oder der Notarzt dazukommen darf, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben. Alles ist Teil einer Simulation und ein Unterrichtselement der „Katastrophenmedizin“.

Einzigartiges Projekt

Das Wahlpflichtfach „Katastrophenmedizin“ soll zukünftigen Ärztinnen und Ärzten Wissen, Fähigkeiten und Einblicke vermitteln, die sie in dieser Form im Studium und auch in ihren ersten Weiterbildungsjahren vermutlich nicht bekommen würden. Die Inhalte basieren auf dem Konzept der katastrophenmedizinischen Ausbildung im studentischen Unterricht an deutschen Hochschulen, entwickelt vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Es ist bundesweit das einzige Projekt dieser Art und in seiner Komplexität die angemessene Antwort auf die aktuellen Herausforderungen: Terroranschläge und Flutkatastrophen der vergangenen Jahre haben gezeigt, wo es auch in der medizinischen Versorgung Lücken zu füllen gibt.

Interdisziplinär verbindet sich mit dem Wahlpflichtfach beispielsweise die Anästhesie mit der Ethik, die Chirurgie mit der Infektiologie. Die Liste der Fächer ist lang, so wie die der Kooperationspartner – das Atomkraftwerk Krümmel, die Feuerwehrleitstelle, der Deutsche Wetterdienst, die Rettungshundestaffel, das THWTechnisches Hilfswerk, die Hamburger Polizei, um nur einige zu nennen.

Die Studierenden sollen viel für ihre spätere Arbeit mitnehmen – auch die, die nicht in der Notfallversorgung arbeiten möchten. Trainiert wird breitgefächert: Dynamische Patientensimulation, die Dekontamination von Verletzten, Brandschutz und Evakuierung, oder auch die psychosoziale Notfallversorgung. Die lebensrettenden Anlagen zur Blutstillung, beispielsweise Tourniquets und Pelvic Binder, können die Studierenden nach ihrem Durchlauf fast im Schlaf. Auch ein chirurgischer Atemweg oder eine Thoraxdrainage sind nach dem Kurs kein Neuland mehr.

Langer Weg: von der Idee bis zur Umsetzung

Erste Ideen für das Ausbildungsfach „Katastrophenmedizin“ gab es bereits 2012. Zu diesem Zeitpunkt warb auch die sanitätsdienstliche Führung für die Implementierung der Einsatzmedizin an den Hochschulen. Doch erst 2017 nahm das Projekt am BwKrhsBundeswehrkrankenhaus Hamburg wirklich Gestalt an, damals noch unter der Leitung von Generalarzt (mittlerweile a.D.) Dr. Joachim Hoitz. Sein Nachfolger sowie heutiger ärztlicher Direktor und Kommandeur, Oberstarzt Dr. Thomas Harbaum, führt mit seinem Team das Projekt aus tiefster Überzeugung fort.

Die Ansprüche an jede und jeden Einzelnen in der akuten Katastrophenmedizin unterscheiden sich diametral von denen der klinischen Individualmedizin. Auch allein schnelle, fundierte Entscheidungen in komplexen Lagen zu treffen und die Bereitschaft, Verantwortung dafür zu übernehmen, setzen eine sehr gründliche Ausbildung voraus“, so Harbaum. Für den Oberstarzt kann das BwKrhsBundeswehrkrankenhaus Hamburg mit seinen jahrelangen Erfahrungen aus den Einsätzen wichtige Impulse geben. „Die akademische Kooperation im Bereich der Katastrophenmedizin zeigt einmal mehr, wie harmonisch mittlerweile das Hamburger Netzwerk mit dem UKE funktioniert“, bilanziert Harbaum weiter. 

Erfahrenes Ausbildungspersonal

Männer und Frauen üben das Nähen.

Bei großen und kleineren Wunden muss auch die Naht sitzen. In einem Nahtkurs lernen die Teilnehmenden diese Fähigkeit

Bundeswehr/Sandra Herholt

Eine gute Ausbildung verlangt eine ausgewiesene Expertise. Der Anästhesie-, Notfall- und Intensivmediziner am BwKrhsBundeswehrkrankenhaus Hamburg blickt zusammen mit seinem chirurgischen Kollegen Oberfeldarzt Dr. Daniel H., inzwischen an der Führungsakademie der Bundeswehr, auf jeweils mehr als 20 Jahre Einsatz- und Notfallversorgung zurück. Ihre Patientenfälle aus extremen Situationen teilen die Dozenten mit den Studierenden und besprechen gemeinsam Vorgehensweisen aus der Militärchirurgie und erklären diese detailliert für den Katastrophenfall.

„Wir wollen der nächsten Generation an Medizinerinnen und Medizinern einen Blick über den fachlichen Tellerrand hinaus ermöglichen, sprich im Katastrophenfall weg von der universitären Individualmedizin, hin zur Katastrophenmedizin außerhalb der eigenen Komfortzone und am Ressourcenlimit“, verdeutlicht Oberfeldarzt Dr. Clemens B. das Ziel der Ausbildungscrew. 

Seit 2021 ist auch Oberstabsarzt Dr. Constanze W., als Weiterbildungsassistentin der Chirurgie aus dem Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, fester Teil des Leitungsteams. Sie bringt zudem Vorerfahrungen aus ihrem ersten Berufsleben als Journalistin mit.

Große Resonanz – Teilnahme per Losverfahren

Die „Katastrophenmedizin“ als Wahlpflichtfach ist fest integriert im Lehrplan für Medizinstudierende des UKE. Einmal im Semester findet für zwei Wochen diese Vertiefung statt. Mit dem 9. Semester im Dezember 2022 hat das Projekt zum ersten Mal seinen vollen Umfang erreicht. Jetzt werden jedes Jahr vom 2. bis zum 9. Semester insgesamt 20 Studierende ihr Wahlpflichtfach durchlaufen und auch in diesem geprüft werden. Die Resonanz ist groß, aber die Plätze begrenzt. Letztlich entscheidet ein Losverfahren der Universität.

„Wir sind inzwischen ein Opfer des eigenen Erfolgs“, lacht Oberfeldarzt Dr. B. „Was einmal als Herzensprojekt angefangen hat, wird mit jedem Jahr arbeitsintensiver. Wir machen das hier alle noch neben unseren eigentlichen Kernaufgaben am Klinikum. Aber wir machen es gern!“

Auch Oberstabsarzt Dr. W. würden das Projekt gern öffnen und diese Einblicke und Lerneffekte einem größeren Personenkreis zugänglich machen. Dafür hält sie die Inhalte zu wichtig. „Aber wir haben aktuell keine Kapazitäten. Das war der Grund, warum wir uns einen weiteren Unterstützer gesucht haben.“

Großes Interesse der Sanitätsakademie

Ein Mann in Uniform in einer Interviewsituation

Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm, Kommandeur der Sanitätsakademie der Bundeswehr

Bundeswehr

Auch innerhalb der Bundeswehr ist der Erfolg des Projektes nicht verborgen geblieben. Der Kommandeur der Sanitätsakademie der Bundeswehr, Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm, hat bereits großes Interesse gezeigt – erste Planungsgespräche für einen Projekteinstieg seines Hauses laufen.

„Wir wollen uns in Zukunft noch mehr auf die einsatzvorbereitende Medizin konzentrieren und eben auch auf die Aspekte der Versorgung, die die komplette Katastrophenmedizin mit abdecken“, so Holtherm. Schließlich ist die Landes- und Bündnisverteidigung ein Kernauftrag der Bundeswehr und muss auf Katastrophenszenarien vorbereitet sein. „Das Hamburger Konzept ist ideal für diese Ausbildung und wir als Sanitätsakademie der Bundeswehr freuen uns auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Bundeswehrkrankenhaus Hamburg und dem Universitätsklinikum Eppendorf“, so der Generalstabsarzt weiter.

Angedacht ist, die „Katastrophenmedizin“ als Basis- oder auch Intensivkurs zentral an der Alma Mater des Sanitätsdienstes in München anzubieten und damit bundesweit zugänglich zu machen. Schon im Herbst 2023 könnte das erste Modul verfügbar sein.

von Nils Rößler

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