Eine Ansprechstelle für Hinterbliebene: „So etwas gab es vorher nicht“

Eine Ansprechstelle für Hinterbliebene: „So etwas gab es vorher nicht“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
3 MIN

Birgitt Heidinger war von 2010 bis 2015 die erste Beauftragte für die Angelegenheiten der Hinterbliebenen im Verteidigungsministerium. Das Amt wurde nach dem Karfreitagsgefecht eingerichtet.

Porträt von Birgitt Heidinger vor einem Bücherregal

Birgitt Heidinger war von 2010 bis 2015 die erste Beauftragte für die Angelegenheiten der Hinterbliebenen im Verteidigungsministerium.

privat

Dieses „entsetzliche Karfreitagsgefecht“ beschäftigt sie bis heute, auch wenn sie schon lange in Rente ist. Fünf Jahre – von 2010 bis 2015 – war Birgitt Heidinger die Beauftragte des Verteidigungsministeriums für die Angelegenheiten der Hinterbliebenen im Dienst getöteter oder verstorbener Bundeswehrangehöriger. Das Amt war unter dem Eindruck der Kämpfe in Afghanistan geschaffen worden.

Als Heidinger Anfang 2010 ein anderes Amt – das der Beauftragten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – übernommen hatte, war davon noch nicht die Rede gewesen. Dann ereignete sich das Gefecht von Isa Khel, das als „Karfreitagsgefecht“ in die Geschichte der Bundeswehr eingehen sollte. „Ich hatte gerade ein Team zusammengestellt, da hieß es: Du kümmerst dich ab sofort zusätzlich um die Angelegenheiten der Hinterbliebenen. So etwas gab es vorher nicht.“

Erinnerungskultur im Austausch mit den Angehörigen

Heidinger und ihr Team legten sofort los, setzten eigene Akzente. „Wir hatten keinerlei Vorgaben. Für uns war das fantastisch“, erinnert sie sich. „Wir haben Leerstellen im Umgang mit den Hinterbliebenen gesehen und haben uns bemüht, diese zu füllen.“ Und zwar zusammen mit den Soldatenfamilien. Heidinger suchte den Kontakt zu den Angehörigen, traf sie auch auf den Hinterbliebenenwochenenden der Militärseelsorge. „Die erste Reaktion war häufig: Ich will nie wieder etwas mit der Bundeswehr zu tun haben.“

Birgitt Heidinger
Gegenseitiges Vertrauen ist die Grundlage. Das haben wir gemeinsam geschafft.

Das habe sich bei den meisten mit der Zeit geändert, sagt Heidinger. „Gegenseitiges Vertrauen ist die Grundlage. Das haben wir gemeinsam geschafft.“ In Zusammenarbeit mit den Hinterbliebenen entstand beispielsweise der Wald der Erinnerung beim Einsatzführungskommando in Potsdam. Das Ehrenmal der Bundeswehr am Bendlerblock wurde um das Buch der Erinnerung ergänzt, in dem die Namen aller im Dienst verstorbenen Bundeswehrangehörigen verewigt sind. Die Ansprechstelle setzte sich auch dafür ein, dass die Hinterbliebenen zum Volkstrauertag nach Berlin eingeladen werden, um gemeinsam mit der Verteidigungsministerin der Toten von Krieg und Vertreibung zu gedenken.  

Hinterbliebenenreisen in die Einsatzgebiete

Zu ihrem Aufgabengebiet gehörte auch die Begleitung von Hinterbliebenen in die Einsatzgebiete. „Viele Angehörige haben mir gesagt, dass solche Reisen für ihre Trauerbewältigung wichtig sind“, so Heidinger. Die Familien bekommen die Möglichkeit, in jene Regionen reisen, in denen ihr Angehöriger ums Leben gekommen ist. „Die Hinterbliebenen sollen den Dienstalltag der Verstorbenen kennenlernen, den Weg gehen, den auch die Verstorbenen gegangen sind.“ Begleitet werden die Angehörigen von der Beauftragten, einem Truppenpsychologen und meist auch von ehemaligen Kameraden der Verstorbenen. „Es soll versucht werden, begreifbar zu machen, warum der Soldat gestorben ist“, sagt Heidinger.

Vier-, manchmal fünf Mal im Jahr war Heidinger mit Hinterbliebenen in Afghanistan. „Das waren mit die beeindruckendsten Erlebnisse in meinem Leben.“ Als sie zum Beispiel mit den Ehefrauen der Opfer des Karfreitagsgefechts in Afghanistan gewesen sei und ihnen das Feldlager der Bundeswehr gezeigt habe, seien sie von einem USUnited States-Hubschrauberpiloten angesprochen worden. „Es war der Mann, der damals ihre Männer aus dem Kampfgebiet geflogen hat. Das Gespräch mit ihm hat die Hinterbliebenen unglaublich berührt, ihnen auch ein Stück weit Ruhe gegeben.“ Auch ihr seien solche Treffen unter die Haut gegangen, sagt die ehemalige Beauftragte: „Ich habe viel Glück gehabt im Leben, das ist mir in den Jahren bewusstgeworden.“

Freundschaften sind entstanden

Mit der Einrichtung der zentralen Ansprechstelle für die Hinterbliebenen im Verteidigungsministerium hätten diese eine ständige Stimme in der Bundeswehr bekommen, sagt Heidinger. „Ich habe mich immer als Vertreterin ihrer Interessen verstanden, aber auch versucht, die notwendige professionelle Distanz zu bewahren.“ Die Erinnerungskultur in der Bundeswehr zu pflegen, die Trauerbewältigung der Angehörigen zu begleiten – das sei „eine absolut wichtige Aufgabe.“

Die Soldatenfamilien würden ihr bis heute am Herzen liegen, sagt die erste Hinterbliebenenbeauftragte in der Geschichte der Bundeswehr: „Über die Jahre sind dabei auch Freundschaften entstanden. Es war eine interessante, intensive und emotionale Zeit, für die ich dankbar bin.“

von Timo Kather
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