Drehscheibe Deutschland

Military Mobility: Europaweit schneller von der Alarmierung zur Wirksamkeit

Military Mobility: Europaweit schneller von der Alarmierung zur Wirksamkeit

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
5 MIN

Multinationale Militärtransporte erfordern oft lange Vorlaufzeiten, auch aufgrund aufwendiger Genehmigungsverfahren. Die Fähigkeit, schnell Streitkräfte verlegen zu können, ist jedoch ein Kernpunkt glaubwürdiger Abschreckung und wirksamer Verteidigungsfähigkeit. Deshalb sollen internationale Truppenverlegungen einfacher und schneller werden. 

Mehrere Panzerhaubitzen 2000 stehen hintereinander auf Bahnwaggons.

Schlüsselfaktor Verlegefähigkeit: Nur wenn Streitkräfte zeitgerecht in einen Einsatzraum gelangen können, haben sie abschreckende Wirkung.

Bundeswehr/Marco Dorow



Schnell mal ins Nachbarland, um zu tanken oder einzukaufen: Das ist für viele Menschen alltäglich, die in der Nähe zu Tschechien, Polen, Dänemark oder den Niederlanden wohnen. Doch übertritt ein Soldat in Uniform eine Landesgrenze, geht das nicht ohne offizielle Erlaubnis. Reisezeit und Ziel, Ort des Grenzübertritts, Zwecks des Besuchs und vieles mehr müssen vorab mitgeteilt und die Reise genehmigt werden. 

Aus Sicht eines souveränen Staates nachvollziehbar: Keine Nation möchte fremde Streitkräfte auf ihrem Territorium haben, ohne davon zu wissen. Doch zugleich ist jeder Nation daran gelegen, dass im Krisenfall militärische Kräfte verbündeter Staaten zur Unterstützung und Verstärkung schnell vor Ort sind. Nur wenn Truppen schnell verlegefähig und schnell einsatzbereit sind, haben sie abschreckende Wirkung auf potenzielle Gegner. Die effiziente und effektive Verlegung von Streitkräften durch das Hoheitsgebiet der europäischen Mitgliedsstaaten in EUEuropäische Union und NATO ist daher wesentlicher Bestandteil der glaubhaften Abschreckung und wirksamen Verteidigung der NATO-Außengrenzen.

Schneller von der Alarmierung zum Einsatzort

Nicht erst seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine arbeiten EUEuropäische Union- und NATO-Staaten daran, grenzüberschreitende Truppenbewegungen und Militärtransporte durch Europa zu vereinfachen und zu erleichtern. „Unter dem Schlagwort Military Mobility wird eine Vielzahl von Maßnahmen zusammengefasst, die alle darauf abzielen, den Zeitraum zwischen Alarmierung und dem Eintreffen von Personal und Material am Einsatzort zu verkürzen. Einfach gesagt: Military Mobility macht grenzüberschreitende militärische Transporte schneller und erhöht damit die Verteidigungsfähigkeit,“ erklärt Oberstleutnant Patrik L., der im Verteidigungsministerium auf Referentenebene erster Ansprechpartner für andere Bundesbehörden sowie für NATO- und EUEuropäische Union-Bündnispartner in Fragen Military Mobility ist. 

Oberstleutnant Patrik L., Referent Military Mobility NATO/EUEuropäische Union im BMVgBundesministerium der Verteidigung
Der Fähigkeitsaufbau im Bereich Military Mobility in Europa dient der Sicherheit aller NATO-Partner, nicht nur an der Ostflanke.

So gilt es unter anderem, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. In Deutschland entscheidet beispielsweise jedes Bundesland für sich über die Aufhebung des Transportverbots an Sonn- und Feiertagen. Genehmigungen für Großraum- und Schwertransporte erfolgen teils sogar auf kommunaler Ebene. Vorgeprüfte Strecken und nur einmal jährlich zu erneuernde Transitgenehmigungen für bestimmte Transporte erleichtern hier wesentlich die Transportplanung. Doch vieles lässt sich nicht für alle regeln, sondern wird nach Einzelfall entschieden, zum Beispiel zum Schutz der Infrastruktur, so L.: „Es nutzt niemandem, wenn nur die ersten Kolonnen die Brücke befahren können und die Brücke anschließend nicht mehr nutzbar ist, weil sie beschädigt wurde.“  

Doch zur Gewährleistung schneller grenzüberschreitender Verlegungen sei weitaus mehr notwendig als Military Mobility, so L. Denn auch Unterstützungsleistungen, unter anderem im sogenannten Host Nation Support, zu denen Deutschland wie alle NATO-Mitglieder gegenüber ihren Bündnispartnern verpflichtet ist, zählten dazu. In der Logistik gehe es dabei nicht nur darum, möglichst reibungslose Truppen- und Materialtransporte durch das Bundesgebiet zu organisieren. Das Transitland ist beispielsweise auch für um Begleitung und Versorgung der ausländischen Streitkräfte beispielsweise mit Kraftstoff, Verpflegung oder Unterkünften zuständig. Das ist übrigens keine kostenfreie Leistung: Die Unterstützungsleistungen werden den nutzenden Nationen in Rechnung gestellt.

Panzer fahren auch dem Laderaum eines großen Schiffes, das im Hafen liegt.

Drehscheibe: Für die Streitkräfte befreundeter Nationen – hier norwegische Panzer in Wilhelmshaven im Rahmen der Übung Wettiner Heide – ist Deutschland Ankunftshafen und Transitland zugleich.

Bundeswehr/Anne Weinrich

Drehscheibe Deutschland: Transitland und Gastnation

Durch seine Lage in der geographischen Mitte Europas hat Deutschland zudem eine besondere Bedeutung als logistische Drehscheibe. In nahezu allen denkbaren Konflikt- und Bündnisverteidigungsszenarien ist die Bundesrepublik Transitland und Host Nation für multinationale Kräfte – wie oftmals auch die Niederlande als Tor nach Europa. In vielen Bereichen arbeiten die Streitkräfte Deutschlands und der Niederlande bereits eng zusammen. So auch in der Military Mobility: 

„Deutschland und die Niederlande arbeiten daran, beide Staatsgebiete als gemeinsamen Transitbereich für Truppenverlegungen und Militärtransporte zur organisieren, um den Zeit- und Verwaltungsaufwand weiter zu reduzieren“, erklärt L. Vor rund einem Jahr wurde hierzu das deutsch-niederländische Military Mobility Office in Ulm ins Leben gerufen: bewusst nicht in NATO- oder EUEuropäische Union-Strukturen integriert, um unabhängig agieren zu können, zugleich aber in unmittelbarer räumlicher Nähe zum deutsch geführten NATO-Kommando Joint Support and Enabling Command, das multinationale Truppenverlegungen der NATO durch Europa planerisch unterstützt. 

In fünf Tagen zur Transportgenehmigung

Generell ist das Interesse der Nationen groß, im Bereich der Military Mobility zusammenzuarbeiten. Denn jeder Alliierte weiß um die Bedeutung schneller Verlegefähigkeit. Zugleich können Streitkräfte in größerem Umfang nur mit Hilfe ziviler Dienstleister verlegt werden, insbesondere beim Schiffs-, Schienen- und Lufttransport. Multinationale Kooperationen vermeiden hier eine Konkurrenz um knappen Transportraum und können Zeit und Geld sparen. So zählt Military Mobility mit derzeit 24 Teilnehmernationen – darunter auch Drittstaaten wie die USA, Kanada, Großbritannien und Norwegen – zu den beteiligungsstärksten Initiativen militärischer Zusammenarbeit im Rahmen der sogenannten Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCOPermanent Structured Cooperation) in der EUEuropäische Union.

Soldaten heben die Motorhaube vom Kampfpanzer Leopard in einer Werkstatt.

Mehr als Transportwesen: Militärische Logistik umfasst auch Instandhaltungskapazitäten, die im Rahmen von Unterstützungsleistungen auch den Streitkräften befreundeter Nationen zu Verfügung gestellt werden. (Symbolbild)

Bundeswehr/Philipp Hoffmann
Ein Lkw transportiert ein Kampfflugzeug vom Typ Eurofighter auf der Autobahn bei Dämmerung.

Eurofighter on Tour: Vorgeprüfte Strecken beschleunigen die Genehmigungsverfahren für Schwerlasttransporte.

Bundeswehr/Max-Joseph Kronenbitter

Die Niederlande sind Führungsnation des PESCOPermanent Structured Cooperation-Projekts Military Mobility, das insbesondere bürokratische Hürden für Militärtransporte und Truppenverlegungen abbaut. Das Ziel: Vom Antrag zur Genehmigung sollen künftig nicht mehr als fünf Werktage verstreichen – im gesamten EUEuropäische Union-Bündnisgebiet. „Dass Deutschland hierzu in der Lage ist, haben wir im Rahmen der Truppenverlegungen zur Stärkung der NATO-Ostflanke und der Transporte zur Unterstützung der Ukraine eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Hier lag die Bearbeitungszeit in der Regel bei weniger als drei Tagen,“ so L.  

Deutschland führt das PESCOPermanent Structured Cooperation-Projekt Network of Logistic Hubs und Support to Operations, über das ein Netzwerk logistischer Umschlag-, Versorgungs- und Instandhaltungszentren in Europa aufgebaut wird, das alle teilnehmenden Staaten nutzen können. Derzeit wird untersucht, wie dieses PESCOPermanent Structured Cooperation-Projekt sinnvoll mit dem PESCOPermanent Structured Cooperation-Projekt Military Mobility verknüpft werden kann.

Bündnisverteidigung heißt schnellstmögliche Verlegung

Eine der größten Herausforderungen sei jedoch, die Logistik der Bundeswehr und die Wehrverwaltung den Erfordernissen der Landes- und Bündnisverteidigung anzupassen. Die dafür erforderlichen Fähigkeiten, Prozesse und Maßnahmen müssten nach Jahrzehnten internationaler Auslandseinsätze neu geplant, vorbereitet und trainiert werden. Das könne bei Übungen und Krisenlagen auch unter Friedensbedingungen zu Einschränkungen für die Zivilbevölkerung führen, wenn beispielsweise Militärtransporten ausnahmsweise der Vorrang vor dem Personen- und Güterverkehr auf der Schiene eingeräumt werde.

Außerdem gelte es, in Deutschland nicht nur Verwaltungsprozesse zu beschleunigen, sondern auch die infrastrukturellen Voraussetzungen – physisch und digital – für kurze Reaktionszeiten und schnelle Verlegefähigkeit zu schaffen. Davon profitiere die Bundeswehr und die gesamte NATO. Indem ressortübergreifend die zeitgerechte Verlegung deutscher und alliierte Kräfte - beispielsweise im Falle der 2023 von Deutschland geführten schnellen NATO-Eingreiftruppe VJTFVery High Readiness Joint Task Force - sichergestellt werde, erfüllten Deutschland und andere europäische Staaten ihre Bündnisverpflichtungen. Military Mobility werde daher nicht ohne Grund als das Leuchtturmprojekt der EUEuropäische Union/NATO-Kooperation bezeichnet. L. sagt: „Der Fähigkeitsaufbau im Bereich Military Mobility in Europa dient der Sicherheit aller NATO-Partner, nicht nur an der Ostflanke.“

von Simona Boyer

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