Nachgefragt

Die Fundamente des Systems Putin zeigen Risse“

Die Fundamente des Systems Putin zeigen Risse“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Der Streit in der militärischen Führung Russlands ist am Wochenende eskaliert. Wagner-Söldner marschierten auf Befehl ihres Chefs in Richtung Moskau. Putschgerüchte machten die Runde. Russlands Präsident Wladimir Putin konnte der Lage nur mit Mühe Herr werden. Was bedeutet der Machtkampf in Russland für den Krieg in der Ukraine?

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Der Professor für internationale Politik an der UniBwUniversität der Bundeswehr München spricht mit Hauptmann Hannes Lembke von „Nachgefragt“ über den Machtkampf in der militärischen Führung Russlands und die Folgen für den Krieg in der Ukraine.

Er wolle weniger von einem Putsch, sondern eher von einer Meuterei der Wagner-Söldner reden, betont Prof. Dr. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München. Ein Putsch hätte sich klassischerweise zunächst gegen die zentralen Institutionen des Staates in Moskau und dann gegen Präsident Wladimir Putin gerichtet. Doch das erste Ziel war ein anderes: „Was wir sehen ist, dass der erste Vorstoß dem Hauptquartier im südlichen Militärbezirk galt“, so Masala zu Hauptmann Hannes Lembke, dem „Nachgefragt“-Moderator. „Das deutet darauf hin, dass es um diesen Hauptkonflikt ging, nämlich Prigoschin gegen die militärische Führung der russischen Armee und gegen die politische Führung des Verteidigungsministeriums, nämlich um Schoigu und Gerassimow.“

Der Streit zwischen dem Wagner-Chef und den beiden führenden russischen Militärs war seit Monaten immer weiter eskaliert. Mehrfach hatte Jewgenij Prigoschin seinen Widersachern Unfähigkeit vorgeworfen. Am Wochenende mündete der Konflikt in einem bewaffneten Aufstand. Wagner-Kräfte besetzten das Hauptquartier der russischen Streitkräfte in Rostow am Don, durchquerten mit einem gepanzerten Konvoi den Oblast Woronesch und rückten bis auf 200 Kilometer an Moskau heran.

Prigoschin wollte Putin unter Zugzwang setzen

„Das Hauptziel war es, Schoigu und Gerassimow zu entfernen, entfernen zu lassen“, sagt Masala. Der Wagner-Chef habe mit seinem „Marsch auf Moskau“ den Druck auf den russischen Präsidenten erhöhen wollen, die Militärs abzusetzen. „Ich glaube, er hat diesen Marsch dann letzten Endes gestoppt, weil sich seine Erwartung, dass sich immer mehr Teile des russischen Sicherheitsapparates, der russischen Streitkräfte, sich ihm anschließen werden, als Illusion erwiesen hat.“

Es sei nicht abwegig, dass Prigoschin zuvor aus Sicherheitskreisen Signale bekommen habe, dass man ihn unterstützen würde. „Mit 25.000 Mann den Versuch zu unternehmen, zwei Oblaste zu besetzen, zu halten und dann auch noch nach Moskau vorzustoßen, ist ein ziemliches Himmelfahrtskommando“, so der Sicherheitsexperte. „Von daher glaube ich, dass Prigoschin dazu ermutigt wurde, das so zu tun, wie er es gemacht hat.“

Russland kann nicht für innere Sicherheit sorgen

Die russischen Streitkräfte hatten keinen ernsthaften Versuch unternommen, die Wagner-Kräfte beim Vormarsch zu stoppen. Dies zeige, dass der russische Staat momentan nicht in der Lage sei, für innere Sicherheit zu sorgen und seine Hauptstadt zu schützen, so Masala. „Diese ganze Meuterei hat gezeigt, dass die Fundamente dieses Systems Putin Risse zeigen. Putin war nicht in der Lage, schnell zu reagieren. Er hat zwölf Stunden lang überhaupt nichts gesagt zu diesem ganzen Vorfall.“

Er glaube deshalb, dass die Macht des russischen Staatspräsidenten am Erodieren sei, so Masala. Von konkreten Folgen für den russischen Feldzug in der Ukraine gehe er zunächst nicht aus. Mittel- bis langfristig könnten die Geschehnisse in Russland aber auch in der Ukraine Wirkung entfalten. „Sollte Putin in den nächsten Tagen und Monaten damit beschäftigt sein, seine Macht im Inneren wieder herzustellen, oder sollten die Konflikte noch stärker offen ausbrechen, die wir sehen konnten während dieser 36 Stunden Meuterei zwischen Teilen des russischen politischen Establishments: Dann werden natürlich viele Ressourcen im Inneren Russlands gebunden.“

Hinzu käme die psychologische Wirkung auf die russischen Kräfte an der Front. „Dort sind Soldaten der russischen Föderation, die ohnehin kaum wissen, wofür sie da kämpfen.“ Das Chaos in der Heimat werde negative Auswirkungen auf die ohnehin schlechte Kampfmoral der russischen Soldaten haben und ihre Kampfkraft weiter schwächen.

Kriegsnarrativ Russlands infrage gestellt

Die Meuterei der Wagner-Gruppe bringe zudem „ein sehr wichtiges psychologisches Momentum nach Russland hinein“, so Masala. Prigoschin sei ein sehr prominenter Kritiker der russischen Operationsführung in der Ukraine. „Dieser Mann kommt jetzt raus mit 900.000 Followern auf seinem Telegram-Kanal und sagt: Alle Gründe, weswegen wir in die Ukraine rein gegangen sind, weswegen wir dieses Land angegriffen haben, sind erstunken und erlogen.“

Erstmals habe eine führende russische Persönlichkeit ein anderes Narrativ für den Krieg in der Ukraine gesetzt. Das werde einige Leute in Russland sicherlich zum Nachdenken bringen, so der Professor für internationale Politik. „Und das ist natürlich auch eine gefährliche Situation für Putin.“

von Timo Kather

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