Nachgefragt

„Wir sind bedrohter, als wir es waren – und müssen selber Hand anlegen“

„Wir sind bedrohter, als wir es waren – und müssen selber Hand anlegen“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
5 MIN

Die Welt erlebt eine sicherheitspolitische Zeitenwende. Die Ukraine verteidigt sich seit fast zwei Jahren gegen Russland, Israel kämpft gegen die Hamas um seine Existenz, und der nächste USUnited States-Präsident könnte erneut Donald Trump heißen. Wie Deutschland zur Stabilisierung beitragen kann, weiß der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

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Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik Ekkehard Brose spricht mit „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Hauptmann Maria Schönemann über die sicherheitspolitische Weltlage und deutsche Interessen im Nahen Osten und der Ukraine.

„Zeitenwende ist für mich das Gefühl, dass Sicherheit nicht mehr etwas ist, was von außen gewährleistet wird: sei es über die NATO, sei es durch die transatlantische Beziehung zu den USA“, sagt Ekkehard Brose zur „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Hauptmann Maria Schönemann. Deutschland müsse Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen, so der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin: „Wir sind bedrohter, als wir es waren – und müssen selber Hand anlegen.“

Deutschland sei eine international stark verflochtene Handelsnation und habe deshalb starkes Interesse an Frieden und Stabilität, so Brose. „Wenn Stabilität bedroht wird – zum Beispiel im Nahen Osten gegenwärtig – dann ist das sofort etwas, was die Bundesregierung zumindest mental auf den Plan ruft.“ Der Krieg zwischen Israel und der Hamas berühre verschiedene Interessen der Bundesrepublik, so der langjährige Diplomat – schon allein wegen der durch den Holocaust geprägten besonderen Beziehung zu Israel. „Was mit Israels Sicherheit passiert, geht uns unmittelbar an“, so Brose. Deshalb sei es auch im Interesse Deutschlands, dass sich der Konflikt nicht auf die ganze Region ausdehne.

Gekämpft wird aber nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in der Ukraine in Osteuropa – und das seit fast zwei Jahren. Man habe sich damals einfach nicht vorstellen können, dass der russische Präsident Putin den „Zivilisationsbruch“ wagen und das Nachbarland angreifen würde, so Brose. „Das wollte und konnte keiner glauben. Und deswegen haben wir trotz gegenteiliger Indizien bis zuletzt eigentlich nicht geglaubt, dass das wirklich passieren würde.“

Im Gegensatz zu vielen andern Konflikten gebe es im Ukrainekrieg einen klaren Aggressor, so Brose – und das sei Russland. Die Ukraine verteidige nur sich und ihr Territorium. „Die Ukrainer als Angegriffene wehren sich, und sie wehren sich mit Haut und Haaren, aus voller Überzeugung.“ Der Krieg werde trotz aller Leiden von der großen Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung mitgetragen.

Keine Basis für Verhandlungen über Kriegsende in der Ukraine

Je länger der Krieg dauert und je mehr Opfer er fordert – die Zahl der Toten und Verletzten auf beiden Seiten geht in die Hunderttausende – desto mehr stellt sich die Frage, wann und wie er beendet werden könnte. „Um politisch über ein Ende des Krieges zu verhandeln, fehlt im Augenblick und bis auf Weiteres eine gemeinsame Basis“, so Brose, der einige Jahre an der deutschen Botschaft in Moskau gearbeitet hat. Putin sei nur verhandlungsbereit, wenn die illegal annektierten ukrainischen Landesteile bei Russland verbleiben würden. „Das sind Bedingungen, die für den Angegriffenen, dem diese Länder geraubt wurden, gar nicht akzeptabel sind.“

Es wäre falsch, die Ukraine unter politischen Druck zu setzen, um sie an den Verhandlungstisch zu zwingen. „Mit der Pistole an der Schläfe verhandelt man nur seinen eigenen Untergang. Das kann nicht in unserem Sinne sein.“ Wenn sich Macht gegen Recht durchsetze, hätte dies nicht nur Auswirkungen auf die Ukraine, sondern auf ganz Europa. Das dürfe und könne auch für Deutschland nicht akzeptabel sein.

Deutschland steht Putins Ambitionen in Europa im Weg

Der Bundesrepublik komme in Europa eine wichtige Rolle zu, betont Brose. „Deutschland ist der zentrale Staat, der in Europa im Wege steht – einer Revision des Status quo in Europa, die Putin ja anstrebt.“ Natürlich seien die USUnited States-Amerikaner als Nuklearmacht noch wichtiger. „Aber es gibt nicht zehn andere, auf die wir uns verlassen können. Wir selbst, Deutschland, muss hier klarmachen, dass es auch selber erkennt, dass wir zentral wichtig sind.“

Auch mit Blick auf die Vereinigten Staaten sei es wichtig, dass sich Deutschland seiner Rolle bewusst sei und mehr Verantwortung übernehme, so der BAKSBundesakademie für Sicherheitspolitik-Präsident. In den USA wird im kommenden Jahr ein neuer Präsident gewählt, und der umstrittene Ex-Präsident Donald Trump scheint erneut nach dem höchsten Amt im wirtschaftlich und militärisch bedeutendsten Staat der Erde zu greifen. „Aus meiner Sicht wäre das wirklich eine ziemliche Katastrophe: außenpolitisch und machtpolitisch“, sagt Brose.

Mehr Verantwortung übernehmen

Denn unter Trump würden sich die USA voraussichtlich weniger in der internationalen Sicherheitspolitik engagieren, als dies derzeit der Fall ist.  „In dem Moment, wo diese feste und entscheidende amerikanische Sicherheitsstütze wegfiele oder schwächer und weniger verlässlich würde, würden wir überdeutlich die sicherheitspolitische Schwäche der EUEuropäische Union sehen“, so Brose.

Ohne USUnited States-amerikanische Unterstützung sei das Gleichgewicht zwischen Europa und der Nuklearmacht Russland nicht ohne weiteres zu halten. „Das wäre eine wirkliche Krise unserer Sicherheit, und sie zeigt noch einmal eins sehr klar: Wir müssen perspektivisch in Europa mehr Verantwortung für unsere Sicherheit und unser Sicherheitsumfeld – zum Beispiel auch Nordafrika – übernehmen.“ Das erfordere Investitionen, sagt der BAKSBundesakademie für Sicherheitspolitik-Präsident – sowohl in Köpfe, als auch in Material. „Das geht nicht von alleine, aber das ist absolut notwendig.“

von Timo Kather

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