,,Nachgefragt''

„Junge Menschen wollen etwas Sinnstiftendes mit ihrem Leben machen – das bieten wir“

„Junge Menschen wollen etwas Sinnstiftendes mit ihrem Leben machen – das bieten wir“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
6 MIN

Deutschland braucht eine kriegstüchtige Bundeswehr. 20.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten sollen zur Truppe stoßen. Auch weitere zivile Bundeswehrangehörige sollen die Streitkräfte unterstützen. Frau Generalstabsarzt Dr. Nicole Schilling erklärt, auf welchen Wegen neues Personal für die Truppe gewonnen wird und welche Herausforderungen es dabei gibt.

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Frau Generalstabsarzt Dr. Nicole Schilling ist Vizepräsidentin des Bundesamtes für Personalmanagement der Bundeswehr in Köln. Sie erklärt in „Nachgefragt“, wie die Truppe mehr Personal gewinnen will.

Rund 260.000 Menschen arbeiten derzeit in der Bundeswehr – 181.000 Soldatinnen und Soldaten und 80.000 zivile Mitarbeitende, also Beamtinnen und Beamte sowie Tarifbeschäftigte und Auszubildende, so Schilling. Sie ist  Vizepräsidentin des Bundesamtes für Personalmanagement der Bundeswehr. Namentlich in den Bereichen, die zur klassischen Wehrverwaltung zählten – etwa Beschaffung, Infrastruktur, Dienstleistungen und Personalmanagement –, arbeiteten größtenteils zivile Beschäftigte. Ein Großteil des Zivilpersonals sei aber auch in den Streitkräften selbst tätig – zum Beispiel als technisches Wartungspersonal bei der Luftwaffe.

Bundeswehr soll wachsen

Bis 2031 sollen aus den 181.000 Soldatinnen und Soldaten 203.000 werden. Doch der Aufwuchs stagniert. „Das hat verschiedene Ursachen“, erklärt Schilling. Zeitsoldaten verbrächten nicht ihr gesamtes Berufsleben bei der Bundeswehr. Das bedeute, dass die Bundeswehr jedes Jahr ungefähr 20.000 Menschen auf den Arbeitsmarkt entlasse. „Und um genau so viele zu bleiben, wie wir jetzt sind, müssen wir also auch jedes Jahr 20.000 wiedereinstellen,“ so Schilling zu Hauptmann Hannes Lembke, dem „Nachgefragt''-Moderator. 

Das funktioniere in der aktuellen Arbeitsmarktsituation schlechter als in den Jahrzehnten davor, denn auf dem zivilen Arbeitsmarkt scheide die Generation der Babyboomer aus dem Berufsleben aus. Das verschärfe den Wettbewerb um gute Arbeitskräfte. „Und um auf die Idee zu kommen, Soldat zu werden, braucht es dann halt eine ganze Menge.“ 

Deswegen sei man stolz, so Schilling, dass es in den vergangenen fünf Jahren gelungen sei, mehr als 100.000 Menschen für den Dienst in der Bundeswehr sowohl im militärischen als auch zivilen Bereich gewonnen zu haben. Dennoch reiche dies nicht, um zu wachsen. Dafür müsse man noch mehr Menschen ansprechen. 

Schwerpunkt Unteroffizierlaufbahnen

Die große Herausforderung ist der Mittelbau“, stellt Schilling fest. Das heißt: Der Zulauf an Offizieranwärterinnen und -anwärtern sowie Mannschaftssoldatinnen und -soldaten sei ausreichend, doch es fehle an Nachwuchs für die Laufbahnen der Unteroffiziere und Feldwebel. Diese Menschen würden bereits Vorgesetztenaufgaben wahrnehmen, Gruppen und Züge führen. 

Häufig übernähmen diese Männer und Frauen aber auch Fachtätigkeiten, für die sie eine zivilberufliche Ausbildung mitbrächten, vergleichbar mit einem Ausbildungsberuf bis zur Meisterebene. Dies sei der Bereich, der auch auf dem zivilen Arbeitsmarkt aufgrund des Fachkräftemangels am stärksten umkämpft sei.

Auswahlverfahren auf den Prüfstand

„Dann gehen wir natürlich noch mal unser Auswahlverfahren an“, sagte Schilling.  Man werde einzelne Merkmale der Anforderungskataloge überprüfen – im gesundheitlichen Bereich beispielsweise „den berühmten Knick-Senk-Spreizfuß, mit dem man in der Bundeswehr ganz viele Dinge nicht machen konnte über Jahre oder vielleicht eben Probleme mit dem Rücken“. 

Auch die Bewertung der Ergebnisse aus Testverfahren sowie die Verknüpfung des Soldatenberufes mit zivilen Berufsbildern stünden auf dem Prüfstand, verbunden mit der Frage: „Hat das, was der Mensch hinterher als Soldat tut, tatsächlich auch etwas mit der Ausbildung zu tun?“

Flexibilität bei der Einstellung

Man erhoffe sich von den Maßnahmen insgesamt, „dass wir es dann schaffen, wieder zu wachsen“. In puncto Schnelligkeit bei der Bearbeitung von Bewerberanfragen hat die Bundeswehr laut Schilling aufgeholt: „Wir sind inzwischen so weit, dass wir ein Beratungsgespräch oder auch einen Auswahltermin zum Wunschtermin anbieten können.“ Gehe es nach dem Bundesamt für Personalmanagement, „reden wir eben über Wochen und nicht mehr über Monate“.

Die Bundeswehr habe zudem ein Ass im Ärmel: Jungen Menschen heutzutage sei nicht ausschließlich an fachlicher Qualifizierung oder guter Bezahlung, verbunden mit einem sicheren Arbeitsplatz, gelegen. Ihr Wunsch sei es insbesondere, „irgendetwas Bedeutsames, etwas Sinnstiftendes mit ihrem Leben machen. Das ist etwas, was uns durchaus hilft. Denn wir haben ja auch durchaus Sinnstiftendes anzubieten“, so Schilling. Das müsse man erklären und deutlich machen. 

Die jungen Menschen heute seien aber auch anspruchsvoller und weniger geduldig mit einem Arbeitgeber, „wenn die Rahmenbedingungen vielleicht nicht ganz optimal sind“. Größte Herausforderung in diesem Zusammenhang ist es laut der Vizechefin des Personalamtes, „die ersten Wochen und Monate im Dienst zusammen zu überstehen“, da manche Rekrutinnen und Rekruten abgeschreckt von dem „Kulturschock“ seien, der sie in deutschen Kasernen erwarte.

Staatsbürger in Uniform bleibt Leitbild

Zur Diskussion, ob man Menschen ohne deutschen Pass einstellen solle, erklärt Schilling: „Da muss natürlich die Bundeswehr an und für sich, die Streitkräfte, aber auch die Gesellschaft erst mal definieren: Was ist uns denn wichtig?“ Rede man über Menschen, die in Deutschland bereits lebten und die gesellschaftlichen Werte mittrügen? „Denn wir haben ja immer noch das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform.“ 

Sprachkenntnisse und Bindung an die deutsche Werteordnung seien daher maßgeblich. Die Debatte sei aber an anderer Stelle zu führen. So oder so würde man Personal nach den immer gleichen Kriterien auswählen – egal, ob es Menschen mit nichtdeutschen Pass seien oder Menschen, die aus Deutschland stammten. 

Kommt die Wehrpflicht zurück?

Auf Hauptmann Lembkes Frage, ob die Wehrpflicht der Bundeswehr helfen könne zu wachsen, stellt Schilling eine Gegenfrage: „Was hilft es uns denn bei der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes?“ Die Debatte müsse aber, wie auch die nach der Einstellung ohne deutschen Pass, an anderer Stelle geführt werden. Eine Reaktivierung der Wehrpflicht könne aber die Teilhabe an der Gesellschaft fördern und würde die Rekrutierung gegebenenfalls vereinfachen.

Um weiteres Personal zu gewinnen, stellt die Bundeswehr auch bereits zivilberuflich qualifizierte Männer und Frauen ein.  „Es ist faktisch so, dass wir mehrere tausend Menschen jedes Jahr einstellen in einem höheren Dienstgrad mit zivilberuflicher Ausbildung, die wir eben brauchen können in der Bundeswehr mit einer gewissen Berufserfahrung“, so die Chefin des Personalamtes. Zugleich stellt Schilling aber klar: „Das wird keine Lösung sein, um im großen Stil Personal von der Seite in die Bundeswehr zu holen.“ Zwar seien externe Erfahrungen gut zur Weiterentwicklung der Bundeswehr. Sogenannten Quereinsteigern fehlten jedoch die Erfahrungen der militärischen Laufbahn.

Anforderungen bleiben hoch

Eines machte Schilling jedoch unmissverständlich deutlich: „Was mir ganz wichtig ist zu betonen: Wir haben in den vergangen Jahren nicht und werden auch nicht Anforderungen absenken.“ Die Anforderungen auch an die Persönlichkeit von Soldatinnen und Soldaten blieben hoch. Sie müssten Staatsbürger in Uniform, überlegt und teamfähig sein.  Insgesamt zeigte Schilling sich zuversichtlich, dass die Zielvorgabe von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031 zu erreichen sei. Dazu wolle auch sie ihren Teil leisten.

von Evelyn Schönsee/Conny Thees 

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