Nachgefragt

„Putin möchte den Druck auf die europäischen Nationen erhöhen“

„Putin möchte den Druck auf die europäischen Nationen erhöhen“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
3 MIN

Russland droht, künftig alle zivilen Handelsschiffe im Schwarzen Meer als potenzielle Gegner zu betrachten – falls sie ukrainische Häfen wie Odessa anlaufen. Die Ukraine soll offenbar mit einer Seeblockade vom Getreideexport abgehalten und damit unter wirtschaftlichen Druck gesetzt werden. Doch auch Europa spielt eine Rolle im russischen Kalkül.

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Fregattenkapitän Steffen Lange von der Marineschifffahrtleitung ist für sichere Seehandelswege zuständig. Mit „Nachgefragt“-Moderator Hauptmann Hannes Lembke spricht er über die Bedrohung der zivilen Schifffahrt durch Russland im Schwarzen Meer.

Russland hatte jüngst ein Getreideabkommen auslaufen lassen, das der Ukraine bislang die Ausfuhr von vielen Millionen Tonnen Getreide über ihre Handelshäfen im Schwarzen Meer ermöglicht hatte. „Mit dem Getreideabkommen und den vier Parteien, die mit involviert waren – der UNUnited Nations, Türkei, Ukraine und Russland – wurde ein sicherer humanitärer Getreidekorridor definiert, der jedem Schiff, das diesen Korridor befahren hat und Getreide an Bord hatte, eine freie Passage ermöglichte“, sagt Fregattenkapitän Steffen Lange von der Marineschifffahrtleitung der Bundeswehr.

Langes Dienststelle beobachtet die Sicherheitslage entlang der weltweiten Seehandelswege und informiert zivile Reedereien über Risiken für ihre Handelsschiffe. Die Ukraine habe durch das Abkommen im vergangenen Jahr rund 33 Millionen Tonnen Getreide für den Weltmarkt sicher verschiffen können, so der Fregattenkapitän. Das ist nun vorbei. „Jedes Handelsschiff, das sich jetzt zu nah in dieses Kriegsgebiet hinein bewegt, muss Gefahr laufen, dass es vielleicht Teil des Krieges wird und beschossen wird.“

Gleichzeitig verstärken die russischen Streitkräfte die Angriffe auf den größten ukrainischen Handelshafen Odessa. Hafenanlagen und Getreidesilos wurden mit Drohnen und Marschflugkörpern gezielt zerstört. „Odessa ist mit seiner Hafenanlage in das Schwarze Meer offen“, sagt Lange. Es sei ein Leichtes für Russland, die Hafenstadt mit seinen weit reichenden Waffensystemen zu attackieren. „Und leider hat Odessa nicht die Luftverteidigung, um diese Flugsysteme aus dem Himmel zu holen.“

Ukraine soll wirtschaftlich destabilisiert werden

Durch die Zerstörung der Hafeninfrastruktur solle der Ukraine die Möglichkeit genommen werden, mit dem Export von Agrarerzeugnissen Geld zu verdienen. „Die Bauern bauen Getreide an, ernten Getreide und wollen natürlich Getreide verkaufen“, so der Fregattenkapitän. „Wenn ich dann die Häfen zerstöre – wie Russland es tut – unterbinde ich auch die Möglichkeit, dass ein Bauer sein normales Geld verdient. Er trägt also wirtschaftliche Einbußen davon. Und das ist das Ziel Russlands derzeit.“

Doch nicht nur die Ukraine solle wirtschaftlich destabilisiert werden, so Lange. Russland könne durch die Unterbindung des Getreidehandels auch Druck auf die ärmeren, meist afrikanischen Länder aufbauen, die auf Importe aus der Ukraine angewiesen seien. „Wenn ich Getreide minimiere in der Ausfuhr, treibe ich automatisch den Preis für Getreide hoch – was wiederum einen direkten Einfluss hat auf die ärmeren Länder und auf diejenigen, die darauf angewiesen sind.“

Russland will eigenes Getreide verkaufen

Zugespitzt gesagt, führe Russland Krieg mit Nahrungsmitteln, so Lange. Der russische Präsident Wladimir Putin verfolge damit ein Kalkül: Er wolle mit der Unterbindung der ukrainischen Getreideexporte und der daraus resultierenden Gefahr weltweiter Versorgungsengpässe erreichen, dass die westlichen Sanktionen auf russisches Getreide aufgeweicht würden. „Putin möchte den Druck auf die westlichen europäischen Nationen erhöhen, um somit vielleicht dann Lücken aufreißen zu können, die es Russland erlauben, bestimmte Tonnagen an Getreide zu verkaufen.“ Die Handelserlöse sollten dann in den Angriffskrieg gegen die Ukraine reinvestiert werden, so der Marine-Offizier zu „Nachgefragt''-Moderator Hauptmann Hannes Lembke.

von Timo Kather

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