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„Wie ein Stich ins Herz“: Zehn Monate nach der Flut

„Wie ein Stich ins Herz“: Zehn Monate nach der Flut

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
3 MIN

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Die Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 zerstörte das Haus von Frau Stabsunteroffizier Julia Hiedels. Doch die Bundeswehr lässt sie nicht im Stich. Oberfeldwebel Patrick Tolliver, Lotse für Einsatzgeschädigte, kümmert sich um sie. Im Podcast berichten beide erstmals über die schicksalhaften Erlebnisse. 

Podcast-Logo "Funkkreis" und Text "Helfer in der Not", dahinter zwei Soldaten in einem Rohbau.
Frau Stabsunteroffizier Julia Hiedels hat durch die Flutkatastrophe alles verloren. Doch die Bundeswehr lässt sie nicht im Stich. Eine Welle der Solidarität kommt ins Rollen.
Audio-Transkription

„Das war wie ein Stich ins Herz“, sagt Julia Hiedels über den Abend des 14. Juli 2021, an dem die Wassermassen in ihr Haus eindringen. Die Kyll, der kleine Bach hinter ihrem Grundstück, hat sich nach heftigen Regenfällen binnen Stunden in einen reißenden Fluss verwandelt.

Die Katastrophe trifft sie und die Bewohner des kleinen Eifeldorfes, rund 80 Kilometer vom Ahrtal entfernt, völlig unvorbereitet. Das Wasser steht knöchelhoch, als sie um 22 Uhr mit ihrem Freund zur Nachbarin eilt. Die 76-Jährige versucht verzweifelt, die Wassermassen aufzuhalten. In einer Plastiktonne stehend bringen sie die Rentnerin durch die Fluten in Sicherheit. Danach packen sie eilig einen Koffer: „Das Wichtigste für eine Nacht“, berichtet Hiedels.

Draußen fordert die Feuerwehr die Menschen auf, ihre Häuser zu verlassen. Julia Hiedels und ihr Freund wollen sich und die beiden Hunde mit ihrem Transporter in Sicherheit bringen. Doch die Flutmassen sind bereits zu hoch. Sie sind eingeschlossen und versuchen, die Feuerwehr auf sich aufmerksam zu machen. „Wir hatten in dem Moment Todesangst.“ Den Moment, als sie sich und ihre Hunde in einem Einkaufswagen hockend an einem Zaun entlang zur Feuerwehr hangelt, wird sie niemals vergessen. 

Verwüstete Geisterstädte

Die Häuser entlang der Uferpromenade sind mit Spanplatten und Bauzäunen verbarrikadiert. Fenster und Türen sind zerstört, die Gärten verwüstet. Vom einstigen Spielplatz an der Promenade ragen nur noch verbogene Metallstangen aus der Erde. Bad Neuenahr-Ahrweiler wirkt wie eine Geisterstadt. „Was wir gesehen haben, war wie Krieg ohne Bomben.“ Oberfeldwebel Patrick Tolliver muss an diesen Satz eines Helfers denken, als er durch das immer noch unbewohnbare Viertel läuft.

Tolliver ist Lotse für Einsatzgeschädigte am Zentrum für Operative Kommunikation in Mayen. In den Tagen nach der Katastrophe treffen immer neue verzweifelte Meldungen von Soldatinnen und Soldaten des Zentrums ein. Die Betroffenen berichten von überschwemmten Häusern, zerstörten Autos und traumatisierten Familien. Die Führung des Zentrums beschließt, Tolliver zu Hilfe zu schicken.

Am Boden zerstört 

Als Julia und ihr Freund am Folgetag zu ihrem Grundstück zurückkehren, bietet sich ihnen ein Bild des Schreckens: Der Innenhof ist übersät mit Müll und Treibgut. Das dreieinhalb Tonnen schwere Fischbecken, in dem sie kostbare Koi-Karpfen züchtete, liegt umgekippt am Ende des Grundstücks, auf der Wiese die verendeten Fische. Im Haus herrscht Chaos. Möbel sind umgeworfen, selbst der riesige Kühlschrank liegt Meter entfernt. Schuhe, CDs, Bilder: Die Reste von Julia Hiebels Leben liegen verstreut auf dem Boden. Alles ist von übelriechendem Schlamm überzogen.

Mit dem Handy dokumentiert Hiebels die Schäden, die sie auf mindestens 150.000 Euro schätzt. Eine Woche später bekommt sie Besuch von einem Sachverständigen. Die Prüfung der Versicherung ergibt, dass die Schäden durch die Police nicht gedeckt sind. Julia bricht zusammen. Die Entschädigung war ihre große Hoffnung.

Hilfe der Bundeswehr 

Niemand hätte Patrick Tolliver auf seine Aufgabe vorbereiten können. Für den Umgang mit den Flutopfern gibt es keine Vorschriften, keine Weisungen. „Das war absolutes Neuland“, sagt er. Als Lotse berät er eigentlich Einsatzgeschädigte, ist Fachmann für Unterstützungsleitungen der Bundeswehr, manchmal auch Alltagshelfer.

Die Flut ändert alles und Patrick muss schnell handeln. Einheit für Einheit telefoniert er ab, fragt, wer vom Zentrum wie stark betroffen ist. Seine Liste erfasst erstmals den vollen Umfang der Tragödie: Über 30 Betroffene, sieben davon schwer, allein am Standort Mayen. Er beginnt, die Flutopfer vor Ort zu besuchen. In Bad Neuenahr-Ahrweiler stockt ihm der Atem. „Ich habe die Bilder in den Medien gesehen, doch vor Ort war alles noch viel schlimmer“, erzählt er. Die Betroffenen brauchen als allererstes Zeit für die Aufräumarbeiten.

Tolliver wälzt Vorschriften und stößt auf den „Genesungsurlaub“, der eigentlich nach Unfällen gegeben werden kann. Gemeinsam mit der Führung und dem Truppenarzt entscheiden sie, die Flut als Unfall zu deklarieren – ein Präzedenzfall in der Bundeswehr. Julia Hiedels und anderen Betroffenen werden zusätzliche 20 Urlaubstage gewährt. Dazu vermittelt Patrick Spenden vom „Netzwerk der Hilfe“ der Bundeswehr und den Mitarbeitenden des Standorts. Hiedels ist überwältigt von der Unterstützung: „Die Truppe, die Hilfe der Kameradinnen und Kameraden ist unglaublich und das Beste, was mir passieren konnte.“

von Patrick Enssle

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