Nachgefragt

„Wir sind noch weit davon entfernt, wo wir eigentlich hinwollen“

„Wir sind noch weit davon entfernt, wo wir eigentlich hinwollen“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Fast zwei Jahre Krieg in der Ukraine sind fast zwei Jahre Zeitenwende in der Bundeswehr. Unter dem Eindruck der russischen Invasion endete der Sparkurs, der den Streitkräften jahrzehntelang verordnet worden war. Mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll nun der enorme Investitionsstau in der Truppe aufgelöst werden. Wie geht es voran?

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Vizeadmiral Carsten Stawitzki leitet die Ausrüstungsabteilung im Verteidigungsministerium. Mit Frau Hauptmann Janet Watson spricht er in „Nachgefragt“ über die Zeitenwende in der Beschaffung: Was wurde erreicht und wo stellen sich Herausforderungen?

„Es hat sich eine Menge bewegt. Aber wir sind am Ende noch weit davon entfernt, wo wir eigentlich hinwollen“, sagt Vizeadmiral Carsten Stawitzki zu „Nachgefragt“-Moderatorin, Frau Hauptmann Janet Watson. Die Bundeswehr für die Zukunft zu rüsten, gleiche einem Marathonlauf. „Niemand wird hoffentlich die Erwartungshaltung haben, dass man in zwölf oder 19 Monaten die Sünden von 30 Jahren Vergangenheit bewältigen kann“, sagt Stawitzki, der im Verteidigungsministerium die Abteilung Ausrüstung leitet.

Bundestag bewilligt doppelte Menge an Rüstungsvorhaben

Man sei aber auf einem guten Weg, so der Vizeadmiral. So habe die Bundeswehr zuletzt deutlich mehr Verträge mit der Rüstungsindustrie geschlossen. „Beispielsweise haben wir alleine dieses Jahr im ersten Halbjahr genauso viele großvolumige Verträge erfolgreich durch das deutsche Parlament gebracht wie im gesamten letzten Jahr zusammen.“

Mit dem Sondervermögen hatte die Bundeswehr zunächst die persönliche Ausstattung ihrer Soldatinnen und Soldaten in den Fokus genommen. 2,4 Milliarden Euro wurden in Gefechtskleidung, Kampfhelme, Rucksäcke und Nachtsichtgeräte investiert. „Wir haben mittlerweile so viel Material in den Bekleidungszentren ausgeliefert bekommen, dass man als Organisationsbereich das gesamte Heer auf einen Schlag ausrüsten könnte“, sagt Stawitzki. Nun werde die neue Ausrüstung an die Einheiten verteilt, die sie am dringendsten brauchen. „Weil es darum geht, dass kaltstartfähige Kampfverbände, die in sich geschlossen komplett ausgerüstet sind, dann ausgestattet werden.“ 

Neues Gerät und neues Gewehr

Auch bei der Beschaffung des Nachfolgers für das Standard-Sturmgewehr G36 gehe es voran, so Stawitzki. Das neue Sturmgewehr der Bundeswehr kommt wie sein Vorgänger von Heckler & Koch. Es wird unter der Modellbezeichnung G95A1 in die Truppe eingeführt. „Es ist gerade in Einsatzerprobung, und wenn die abgeschlossen ist, werden dann ab 2025 in Jahresstückzahlen von 20.000 Stück die Gewehre auch der Truppe zufließen.“

Bei der Beschaffung von Großgerät meldet der Vizeadmiral ebenfalls Erfolge. Für die an die Ukraine abgegebenen Leopard-2-Kampfpanzer sei ebenso Ersatz bestellt worden wie für die Panzerhaubitzen 2000, die nun von der Ukraine eingesetzt werden. Allerdings werde es zwei Jahren dauern, bis die neuen Waffensysteme in der Truppe ankämen. Aus Mitteln des Sondervermögens sind außerdem 60 Chinook-Transporthubschrauber und 35 F-35-Kampfjets bestellt worden, hinzu kommen Tankschiffe, Flottendienstboote und Aufklärungsflugzeuge. „Also alles in allem ein großes Paket durch alle Dimensionen“, so Stawitzki.

Sondervermögen ist nur ein erster Schritt

In puncto Munitionsversorgung sei ebenfalls vieles in die Wege geleitet worden, so der Vizeadmiral. Die Bundeswehr sei viele Jahre auf das internationale Krisenmanagement ausgerichtet gewesen, die Munitionsproduktion und -bevorratung sei daher vernachlässigt worden. „Das alles müssen wir jetzt mühsam wiederaufbauen“, sagt Stawitzki. „Die gute Nachricht ist: Genau das ist uns in den letzten zwölf Monaten gelungen. Wir haben in allen Munitionsbereichen für alle Munitionssorten Rahmenverträge geschlossen, die den Partnern Planungssicherheit geben.“

Dennoch müsse man sich darüber im Klaren sein, dass das Sondervermögen nicht für alle Investitionen ausreichen werde, so Stawitzki. „Am Ende sind 100 Milliarden Euro ein erster Schritt, aber eben bei Weitem nicht das, was uns dann auch bei diesem Marathonlauf zum Ziel bringen wird.“ So sei die Nachfolge der Fregatten der Klasse 124 mit den momentan zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu finanzieren. Auch die Materialerhaltung der älteren Waffensysteme der Bundeswehr mache ihm einige Sorgen, so der Vizeadmiral. „Bis die neuen Waffensysteme alle zulaufen, müssen die alten, bestehenden Waffensysteme jetzt und hier für die Kampfkraft der Bundeswehr erhalten bleiben.“ 

von Timo Kather

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