Unterstützung der Ukraine

Training für den Ernstfall - die spezialisierte Sanitätsausbildung bei EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine

Training für den Ernstfall - die spezialisierte Sanitätsausbildung bei EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine

Datum:
Ort:
Strausberg
Lesedauer:
5 MIN

Auch in Friedenszeiten besteht die Gefahr, mit chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen - kurz CBRNchemical, biological, radiological, nuclear - Stoffen in Berührung zu kommen. Doch besonders im Krieg kann der Einsatz derartiger Waffen unzählige Leben fordern. Im Medical CBRNchemical, biological, radiological, nuclear Training, einer speziellen Sanitätsausbildung, lernt das ukrainische Sanitätspersonal, wie kontaminierte Patientinnen und Patienten versorgt werden.

Eine ABC Schutzmaske liegt auf einem Tisch

Die ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutzmaske schützt vor atomaren, biologischen und chemischen Stoffen

Bundeswehr / Lea Bacherle

Ein abgesperrter Bereich in einer Kaserne im Süden Deutschlands. Noch ist es ruhig in dem Zelt, in dem sich eine kleine Gruppe ukrainischer Soldatinnen und Soldaten versammelt hat. Viele von ihnen waren vor kurzem noch Zivilpersonen und als Ärztinnen und Ärzte oder technisches Personal in Krankenhäusern in der Ukraine tätig. Nun sollen sie in Deutschland zu Spezialistinnen und Spezialisten ausgebildet werden, die im Angesicht des Krieges dringender denn je gebraucht werden. Denn sie sollen in Zukunft Patientinnen und Patienten behandeln, die mit chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen - kurz CBRNchemical, biological, radiological, nuclear - Kampfstoffen in Berührung gekommen sind. Daher steht die Versorgung von kontaminierten Soldatinnen und Soldaten im Fokus des Medical CBRNchemical, biological, radiological, nuclear Trainings des ukrainischen Sanitätspersonals.

Plötzlich geht alles ganz schnell: Ein Soldat ist mit einem chemischen Kampfstoff in Kontakt gekommen und bewusstlos. Auch der Ersthelfer verletzt sich bei dem Versuch, den Kameraden aus dem Gefahrenbereich zu bringen, schwer. Sofort teilt sich die Gruppe auf, um mit der Erstversorgung der beiden Verletzten zu beginnen. Dazu wird zunächst eine sogenannte Triage durchgeführt. Die Patientinnen und Patienten werden hierbei nach der Schwere ihrer Verletzungen eingeteilt. Auf dieser Grundlage findet die Weiterbehandlung statt.

Die Gruppe arbeitet konzentriert zusammen. Zunächst gilt es, lebensbedrohliche Blutungen zu stoppen. Dazu verwenden sie ein sogenanntes Tourniquet, ein Abbindesystem, mit dem der Blutfluss in den Venen und Arterien der betroffenen Extremität unterbrochen werden kann. Zeitgleich gilt es, anhand der Symptome oder mit Hilfe von Testsystemen schnellstmöglich herauszufinden, mit welchem Kampfstoff die Patientinnen und Patienten in Kontakt gekommen sind. Denn nur, wenn das richtige Gegenmittel - das Antidot - rechtzeitig verabreicht wird, kann das Leben der betroffenen Person gerettet werden. Diese ersten Maßnahmen finden noch im sogenannten Verwundetensammelpunkt statt, noch bevor die Patientinnen und Patienten schließlich in das Dekontaminationszelt zur weiteren Behandlung und Dekontamination transportiert werden.

Ein Schema schafft Sicherheit

Vier Soldatinnen und Soldaten in Schutzanzügen behandeln eine kontaminierte Person

Um die Szenarien darzustellen, wird unter anderem mit einer Trauma-Simulationspuppe geübt, die einen echten Menschen nicht nur im Aussehen und Gewicht imitiert, sondern auch Vitalfunktionen wie Atmung, Blutdruck und Puls simulieren kann

Bundeswehr / Lea Bacherle

Ein eingespieltes Team: Innerhalb des Zeltes beginnt schließlich die Phase der notfallmedizinischen Behandlung und Dekontamination nach dem cAaBCDE-Schema:

critical bleeding:

Stark blutende Wunden der Extremitäten haben Priorität und müssen möglichst sofort per Tourniquet versorgt.

Airways: 

Die Atemwege sind dauerhaft frei zu halten. Die verwundete Person ist dazu anzusprechen und anzufassen. Bei bewusstlosen Personen muss der Mundraum auf Fremdkörper kontrolliert werden.

antidote (notfallmäßig): 

Bei einer Vergiftung durch Nerven- oder Blutkampfstoffe ist eine schnellstmögliche Verabreichung eines Antidots - ein entsprechendes Gegengift - lebensrettend.

Breathing: 

Um die Atmung sicherzustellen, wird der Brustkorb und auch der Rücken auf weitere Verletzungen untersucht - beispielsweise auf Verletzungen mit hörbarem Luftaustritt.

Circulation: 

Während der Überprüfung des Kreislaufs beziehungsweise Pulses wird der gesamte Körper systematisch auf weitere Wunden untersucht. Ein Pulsoxymeter hilft bei der Bestimmung von Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung.

Disability: Der Bewusstseinszustand kann mittels Fragen zu Zeit, Person und Umgebung herausgefunden werden. Auch die Pupillendiagnostik findet Anwendung.
Environment:

Die betroffene Person muss vor Witterungseinflüssen geschützt und für die Evakuierung vorbereitet werden. Der Wärmeerhalt steht hierbei im Vordergrund.

In dieser Phase ist Geschwindigkeit und präzises Arbeiten entscheidend. Denn bis zum Eintreffen des MedEvacMedical Evacuation-Personals müssen alle Erstmaßnahmen und vorbereitenden Schritte abgeschlossen sein. Dabei darf der Zustand der Patientin beziehungsweise des Patienten nicht aus den Augen verloren werden. Die militärische Medical Evacuation, kurz MedEvacMedical Evacuation, ist ein Teil der Rettungskette und bezeichnet den Abtransport oder die Verbringung verletzter Personen unter qualifizierter medizinischer Versorgung, die beispielsweise mit der eines zivilen Krankenwagens vergleichbar ist.

Mehrere Soldatinnen und Soldaten behandeln zwei verwundete Personen und untersuchen sie auf weitere Verletzungen

Die Versorgung von Patientinnen und Patienten erfordert eine gute Teamarbeit, so können mehrere Schritte des sogenannten cAaBCDE-Schema gleichzeitig abgearbeitet werden

Bundeswehr / Lea Bacherle

Sofort übernimmt der Gruppenführer die Koordination der Aufgaben und die beiden Teams beginnen, zügig ihren jeweiligen Verwundeten zu versorgen. Zwar handelt es sich bei den Ausbildungsteilnehmenden bereits um erfahrenes medizinisches Personal, dennoch werden durch die Schutzausstattung selbst routinierte Handgriffe zur Herausforderung. Das Tragen der Schutzausstattung ist erforderlich, um eine eigene Kontamination zu vermeiden.

Nach jedem Arbeitsschritt müssen die Soldatinnen und Soldaten ihre Hände und das verwendete Equipment dekontaminieren, um zu verhindern, dass die giftige Substanz weiter verschleppt wird. Doch die schmierige Konsistenz der Dekontaminationslösung erschwert das Handling zusätzlich. Immer wieder fällt medizinisches Equipment auf den Boden, welches dann auf keinen Fall weiterverwendet werden darf. Noch während der medizinischen Erstversorgung beginnen zwei der Trainingsteilnehmenden die kontaminierte Kleidung der Betroffenen aufzuschneiden und zu entfernen. Anschließend können die Patientinnen und Patienten in den „sauberen“ Bereich verlegt und für den Abtransport vorbereitet werden. Allerdings wird jede Person, die den kontaminierten Bereich verlassen soll, noch einmal separat dekontaminiert. Gleiches gilt für jegliches Material, wie beispielsweise Beatmungsgeräte oder die Patientendokumentation, die alle notwendigen Informationen zu den Verletzungen und bisherigen Behandlungsschritten enthält und bei der Patientin beziehungsweise dem Patienten verbleiben.

Ein Soldat strahlt eine Soldatin mit einer Schwarzlichtlampe ab

Ein Ausbilder überprüft nach dem Übungsszenario mit Schwarzlicht, ob die Ausbildungsteilnehmerin bei der Eigendekontamination gewissenhaft gearbeitet hat

Bundeswehr / Lea Bacherle

Unter den wachsamen Augen der Ausbildenden werden die Patientinnen und Patienten an das MedEvacMedical Evacuation-Personal übergeben. Doch auf die Teilnehmenden wartet noch eine Überraschung: Auf der Kleidung der Patienten befand sich eine fluoreszierende Substanz, die erst unter Schwarzlicht sichtbar wird. So können die Ausbildenden nun genau überprüfen, wie präzise gearbeitet wurde oder ob sich die Kampfstoffe weiterverbreitet haben und damit sogar Sanitätspersonal kontaminiert wurde.

Eine positive Bilanz

Über die folgenden Stunden und Tage hinweg werden die Teilnehmenden immer wieder mit neuen Szenarien konfrontiert, bei denen hauptsächlich der Umgang mit chemischen Kampfstoffen im Fokus steht. Außerdem werden ihnen in kurzen Unterrichtseinheiten zwischen den Szenarien zusätzliche Informationen zu den Eigenschaften, Symptomen und Behandlungsmethoden verschiedener Stoffe vermittelt. Besonders bei diesen Ausbildungsabschnitten leisten die zur Unterstützung der Ausbildung eingesetzten Sprachmittlerinnen und Sprachmittler einen entscheidenden Beitrag, denn diese müssen die komplexen Themen und Fachbegriffe verständlich übersetzen.

Allen Beteiligten ist bewusst, dass all das, was jetzt nur eine Übung ist, zurück in der Ukraine schnell zum Ernstfall werden kann. „Die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten sind sehr motiviert und wissbegierig. Sie wollen in kompletter Schutzausrüstung üben, weil sie erkannt haben, dass sie auch im Ernstfall darin medizinische Maßnahmen durchführen können müssen“, fasst der Ausbildungsleiter zusammen und lobt die Improvisationsfähigkeit der Teilnehmenden. Auch für die Ausbilderinnen und Ausbilder selbst ist dieses Trainingsmodul ein Pilotprojekt. Zwar gibt es schon länger ähnliche Ausbildungen für spezialisierte Kräfte der Bundeswehr. Allerdings steht bei diesen deutlich mehr Zeit zur Verfügung als bei diesem Lehrgang: Nach nur sieben Tagen Ausbildung werden die Teilnehmenden wieder an ihrem Arbeitsplatz in ukrainischen Krankenhäusern gebraucht, um die Soldatinnen und Soldaten zu versorgen, die im Krieg verwundet wurden.

 

 

von Lea Bacherle

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