Digitale Gefechtsstandübung

FCE übt Verteidigung Litauens: Militärische Führung erfordert ein aktuelles Lagebild

FCE übt Verteidigung Litauens: Militärische Führung erfordert ein aktuelles Lagebild

Datum:
Ort:
Litauen
Lesedauer:
4 MIN

Der vorgeschobene Gefechtsstand der deutschen eVAenhanced Vigilance Activities-Brigade übt derzeit Führungsprozesse zur Bündnisverteidigung an der NATO-Ostflanke. Eingebettet ist die digitale Übung in die multinationale NATO-Gefechtsstandübung Griffin Lightning 23 unter Führung des Multinationalen Korps Nordost.

Soldaten sitzen vor Laptops und schauen auf eine Projektion auf einer Leinwand.

Überblick schaffen: Oberstleutnant Sebastian Süß, Leiter des vorgeschobenen Gefechtsstands, lässt sich von seinem Team ein aktuelles Bild zur Materiallage geben

Bundeswehr/Simona Boyer

Seit Anfang März 2023 läuft die multinationale Gefechtsstandübung Griffin Lightning 23 im Baltikum, Deutschland und Polen. Geführt wird die Übung vom Multinationalen Korps Nordost der NATO. Auch das Forward Command Element (FCE) der enhanced Vigilance Activies Brigade Litauen (eVAenhanced Vigilance Activities Brigade LTU) ist in die Übung eingebunden. Deutschland hält die eVAenhanced Vigilance Activities-Brigade zur Verteidigung Litauens bereit. Deren Kräfte werden im Schwerpunkt von der Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern“ gestellt. Das Forward Command Element ist der vorgeschobene Gefechtsstand der Brigade und dauerhaft in Rukla, Litauen, stationiert.

Anders als die teilweise parallel laufende binationale Gefechtsübung Griffin Lightning handelt es sich bei der multinationalen Gefechtsstandübung um ein rein digitales Training. Oberstleutnant i.G. Sebastian Süß leitet den vorgeschobenen Gefechtstand. Er erklärt: „Wir verlegen keine Kräfte. Wir planen eine komplette Operation – beginnend mit einem fiktiven Angriff auf das NATO-Bündnisgebiet bis zu dem Punkt, an dem der Vormarsch des Aggressors gestoppt ist.“ Dann sei die die erste Phase der Verteidigung abgeschlossen und die Brigade stünde für die Folgeaufträge bereit.

Übungsszenario: Destabilisierung geht Angriff voraus

Das Hintergrundszenario der Übung ist die Verteidigung des Baltikums gegen einen fiktiven, landbasierten Angriff. Diesem Angriff ging eine zunehmende Destabilisierung der Region durch monatelange hybride Kriegsführung unter anderem durch Desinformationskampagnen des späteren Angreifers voraus. Die Anzeichen für eine weitere Verschärfung des Konflikts häufen sich. Ein Angriff steht unmittelbar bevor. 

Die Übungslage im Gefechtsstand beginnt am Tag, bevor die Landesgrenzen durch den Gegner überschritten werden. Der Auftrag der Kampfverbände ist, im ersten Schritt den Vormarsch des Gegners zu stoppen. Die Gefechte erfordern eine schnelle Verlegung von Kräften und Material. Robuste Nachschublinien ins Operationsgebiet müssen geschaffen und aufrechterhalten werden, um die Durchhaltefähigkeit der kämpfenden Truppe zu sichern. Denn nur mit ausreichend Munition, Treibstoff und Ersatzmaterial können die Einsatzkräfte ihren Verteidigungsauftrag erfüllen.

Anhaltende Desinformationskampagnen des Gegners verunsichern in der Übungslage die Zivilbevölkerung und führen zu Fluchtbewegungen, die die Operationsführung beeinträchtigen. Menschen fliehen aus den umkämpften Gebieten und nutzen die gleiche Infrastruktur, die benötigt wird, um den militärischen Nachschub zur kämpfenden Truppe zu transportieren. Dadurch werden Transportkapazitäten knapp und im Normalfall gangbare Straßen überlastet.

Eine Panzerhaubitze 2000 schießt scharf im verschneiten Gelände.

Gefechtsfähig bleiben: Um ihren Verteidigungsauftrag zu erfüllen, müssen Munition und Treibstoff kontinuierlich aufgestockt werden

Bundeswehr/Christian Endres

Führung: Informationen sichern Entscheidungsfähigkeit 

Im vorgeschobenen Gefechtsstand geht es zu Beginn der Übung darum, Informationen zu sammeln, zu bewerten und Entscheidungen zu treffen: Wo befinden sich eigene Kräfte, wo der Feind? Wo wird gekämpft? Was wird wo wie schnell benötigt? Welche Routen und Ressourcen stehen zur Verfügung? 

Das taktische Vorgehen auf dem Gefechtsfeld rückt jedoch bei der digitalen Übung in den Hintergrund. Hier liegt der Schwerpunkt darauf, Prozesse und Entscheidungsabläufe zu etablieren und zu üben, die bei einem tatsächlichen Einsatz des vorgeschobenen Gefechtsstandes reibungslos funktionieren müssen. Denn je aktueller und vollständiger die Informationen sind, die dem Gefechtsstand vorliegen, desto besser kann er seinen Führungsauftrag erfüllen und fundierte Entscheidungen treffen. Eine Erkenntnis sei bereits gewonnen, stellt Süß fest: „Auftragsorientierte militärische Führung ist nur mit einem vollständigen, aktuellen Lagebild möglich. Wir neigen hier zu Perfektionismus. Doch der Kommunikationsfluss bindet extrem viel Manpower. Hier müssen wir prüfen, wo das Meldeaufkommen auf das Notwendige reduziert werden kann. Oft ein schmaler Grat.“

Auftrag: Durchhaltefähigkeit sichern  

Stabsfeldwebel Rene P. ist zuständig für Material und Nachschub der Brigade. Er erklärt die Gefechtsstandarbeit am Beispiel der Logistik und Instandhaltung: „Im Kampf tritt das Meldewesen oftmals in den Hintergrund. Denn der Kernauftrag ist dann das Gefecht. Aber wir müssen so schnell wie möglich wissen, was wo gebraucht wird. Nur so können wir beispielsweise Panzer aus der Materialreserve zeitgerecht zur Truppe bringen.“ P. überwacht alle eingehenden Materialforderungen und gleicht sie mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab: „Wir müssen vorplanen können, damit die Einsatzbereitschaft sichergestellt ist.“ Unterschreiten die Bestände an Treibstoff, Ersatzteilen oder auch Verpflegung ein vordefiniertes Maß, wird sofort Nachschub angefordert. 

Ändert sich die Intensität des Gefechts, geht beispielsweise die Truppe von der Verteidigung in den Gegenangriff über, werden vorher die Bestände an Nachschubgütern aufgestockt. „Wir haben einerseits nur begrenzte Lagerflächen, andererseits muss ein Leerlaufen unbedingt vermieden werden“, fasst der Stabsfeldwebel zusammen. Dies sichere im Ernstfall die Durchhaltefähigkeit der kämpfenden Truppe.

Zwei Soldaten arbeiten an Laptops.

Vorausschauende Planung: Die Logistiker des Teams behalten die Ressourcen kontinuierlich im Blick, um die Einsatzbereitschaft und Durchhaltefähigkeit zu sichern

Bundeswehr/Simona Boyer

Kommunikation als Schlüssel zur Führungsfähigkeit

Für FCE-Leiter Süß ist die Aufrechterhaltung der Kommunikation und Führungsfähigkeit über weite Distanzen das wichtigste Übungsziel. So liegen im Übungsszenario teils über 1.000 Kilometer zwischen den einzelnen Gefechtsständen der beteiligten Kräfte, den Versorgern, den Aufklärern und der kämpfenden Truppe. Die richtigen Informationen zu richtigen Zeit in der richtigen Qualität an den richtigen Empfänger so zu übermitteln, dass sie der Operationsführung nutzen, sei wegen der hohen technischen Anforderungen beispielsweise bei der verschlüsselten Übertragung geheimer Informationen im fiktiven, instabilen Umfeld des Übungsszenarios eine Herausforderung. Doch es sei wichtig, solche Szenarien zu üben, um Handlungsalternativen zu entwickeln. Süß: „Der Abschluss des fiktiven Gefechts ist derzeit noch nicht absehbar. Doch ich bin mir sicher: Am Ende der Übung melden wir „Auftrag erfüllt, bereit für den Folgeauftrag.“

FCE in Litauen: „Wir sind Führungselement und First Responder“

Deutschland hält eine verstärkte Kampfbrigade zur Rückversicherung und Verteidigung seines NATO-Bündnispartners Litauen bereit, die enhanced Vigiliance Activities Brigade Litauen (eVAenhanced Vigilance Activities LTU). Die Brigade ist ein sichtbares Zeichen der Bündnissolidarität Deutschlands mit den osteuropäischen NATO-Partnerstaaten. Das Forward Command Element ist als Führungs- und Verbindungselement der deutschen eVAenhanced Vigilance Activities-Brigade LTU dauerhaft in Litauen stationiert. Oberstleutnant i.G. Sebastian Süß führt das Forward Command Element der eVAenhanced Vigilance Activities-Brigade Litauen seit seiner Aufstellung im Herbst 2022. Ein Gespräch über Auftrag des FCE, Personalressourcen und die litauische Verteidigungsplanung. 

3 Fragen an

FCE-Leiter Oberstleutnant i.G. Sebastian Süß

Ein Soldat im Porträt
Bundeswehr/Simona Boyer

Welchen Auftrag hat das Forward Command Element?

Ein Soldat im Porträt

Das Forward Command Element ist das dauerhaft in Litauen stationierte Bindeglied zwischen den litauischen Streitkräften und der eVAenhanced Vigilance Activities-Brigade Litauen. Unser Auftrag hängt von der Bedrohungslage ab. Derzeit liegt der Fokus auf der schrittweisen Einbindung der deutschen Kräfte in die litauische Verteidigungsplanung, der Organisation und Durchführung gemeinsamer Übungen, aber auch in Absprachen zur Schaffung von Infrastruktur oder zu anderen Unterstützungsleistungen durch den litauischen Staat.

Verschärft sich die Bedrohungslage, sind wir als vorgeschobener Gefechtsstand für die Durchführung der Verlegung der deutschen Einsatzkräfte nach Litauen sowie deren Aufnahme hier vor Ort zuständig. Befindet sich der Hauptgefechtsstand auf dem Marsch ins Einsatzgebiet, übernehmen wir zudem für begrenzte Zeit die militärische Führung der Einsatzkräfte und planen lagebezogen die Folgeaufträge der Brigade.

Was bedeutet Einbindung in die litauische Verteidigungsplanung?

Ein Soldat im Porträt

Diese Einbindung umfasst drei Ebenen: erstens die gemeinsamen regelmäßigen Übungen der beteiligten Kräfte beider Nationen. Denn die deutschen und die litauischen Soldatinnen und Soldaten müssen lernen, miteinander – und nicht nur nebeneinander – gegen einen möglichen Aggressor zu kämpfen. Zweitens geht um die Einordnung der eVAenhanced Vigilance Activities-Brigade LTU in eine neu zu schaffende Befehlsstruktur im Rahmen der NATO-Bündnisverteidigung.

Die dritte Ebene ist die taktische Einbindung der Brigade in die Operationsplanung zur Verteidigung Litauens. Denn hier erhalten wir einen Einblick, wie die litauische Seite den deutschen Beitrag in ihre eigene Landesverteidigung einplant und mit den Verteidigungsplänen der NATO synchronisiert. So wird Landes- zur Bündnisverteidigung. Parallel erfolgt zwischen Deutschland und Litauen ein intensiver Austausch auf ministerieller Ebene zu den Themen Infrastruktur, Logistik, Training und Übungen sowie Operationsplanung. Auch hier ist das FCE eingebunden.

Warum besteht das FCE nur aus rund 30 Soldatinnen und Soldaten?

Ein Soldat im Porträt

Das FCE hat keine feste Personalstärke. In der Regel sind rund 30 Männer und Frauen vor Ort. Sie fungieren als First Responder für unsere litauischen Partner. Alle beteiligten Soldatinnen und Soldaten kommen aus dem Hauptgefechtsstand der Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern“. Manche sind für wenige Wochen hier, andere mehr als ein halbes Jahr. Dadurch haben wir genug Kräfte, die dem Auftrag des FCE lagebezogen gerecht werden können, beispielsweise bei der Übung Griffin Lightning, wo der Gefechtsstand auf rund 70 Soldatinnen und Soldaten aufgewachsen ist.

Grundsätzlich sind die vorhandenen Fähigkeiten wichtiger als die Mannstärke. Wir schaffen die Grundlagen und die Voraussetzungen, dass die eVAenhanced Vigilance Activities-Brigade LTU ihren Auftrag erfüllen kann: die Durchführung von Ausbildung und Übungen an der NATO-Ostflanke für eine glaubhafte Abschreckung und die Einbindung in die litauische Verteidigungsplanung zur wirksamen Verteidigung der baltischen Staaten. Das ist, was zählt.

von Simona Boyer

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