Nachgefragt

Verwundete retten: „Wichtig ist, dass der Kamerad den Kameraden hilft“

Verwundete retten: „Wichtig ist, dass der Kamerad den Kameraden hilft“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Die Geländegewinne der Ukraine bei der Offensive gegen die Invasoren aus Russland fordern einen hohen Tribut von den vorrückenden Truppen. Jeden Tag gibt es Gefechte mit Toten und vielen Verletzten. Oberfeldarzt Dr. Daniel Forstner erklärt, welche Kriegsverletzungen besonders häufig sind und worauf es bei der Versorgung der Verwundeten ankommt.

Passen Sie jetzt Ihre Datenschutzeinstellungen an, um dieses Video zu sehen

Oberfeldarzt Dr. Daniel Forstner leitet das Lehr- und Ausbildungszentrum Einsatz der Bundeswehr. Sein „Nachgefragt“-Gespräch mit Frau Hauptmann Janet Watson dreht sich um die medizinische Behandlung von Schuss- und anderen Kriegsverletzungen.

Bestimmte Verletzungsmuster seien in kriegerischen Auseinandersetzungen wie in der Ukraine besonders häufig, sagt Forstner: Gesichts- und Schädelverletzungen, Verletzungen an Armen und Beinen sowie Explosionsverletzungen. „Es ist Hitze, es kommt zu Verbrennungen am Körper und ich inhaliere Rauchgase“, sagt der Bundeswehrarzt. „Alleine die Druckwelle, die so eine Explosion auslöst, führt zu Zerreißungen und Verletzungen des Körpers, auch wenn man geschützt ist.“

Selbst eine moderne militärische Schutzausrüstung wie das modular aufgebaute MOBASTModulare Ballistische Schutz- und Trageausstattung Soldat-Westensystem der deutschen Streitkräfte schütze nur die lebenswichtigen Organe, so der Leiter des Lehr- und Ausbildungszentrums Einsatz der Bundeswehr. „Man schützt im Endeffekt vor allem den oberen Bereich, also die Lungenflügel. Die Brust ist geschützt, auch die Leber und die Milz. Das sind sehr stark durchblutete Organe, was bei Verletzungen dazu führt, dass man sehr schnell eine hohe Menge von Blut verliert.“

Nur wenige Minuten für die Erstversorgung

Nicht geschützt und damit gefährdet seien die Seiten des Oberkörpers, Hals und Kopf, die Extremitäten und der Unterleib. Bauchverletzungen seien besonders problematisch, so der Oberfeldarzt. „Wenn man hier getroffen wird oder auch nur seitlich in die Milz, habe ich natürlich massive Blutungen“, sagt Forstner zur „Nachgefragt“-Moderatorin, Frau Hauptmann Janet Watson.

Eine solche Blutung könne nur mit einer Operation gestoppt werden. „Es ist entscheidend, dem Patienten so schnell wie möglich eine chirurgische Intervention zukommen zu lassen.“ Erste Hilfsmaßnahmen müssten binnen zehn Minuten nach der Verletzung eingeleitet werden, so der Oberfeldarzt. „Nur dann hat der Soldat überhaupt eine Chance zu überleben.“ Der oder die Verletzte müsse direkt danach zum Arzt gebracht und idealerweise binnen einer Stunde operiert werden.

Erste Hilfe von den Kameraden

Forstners Dienststelle bereitet Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, aber auch Angehörige der ukrainischen Streitkräfte auf ihren Einsatz vor. Zur Ausbildung gehört auch die taktische Versorgung von Verwundeten an der Front. „Im vorderen Bereich ist es wichtig, dass der Kamerad den Kameraden hilft“, sagt der Oberfeldarzt. Im Gefecht dürfe aber auch der Selbstschutz nicht vernachlässigt werden. „Wenn ich mich in einer akuten Kampfsituation befinde, es fliegen die Kugeln, es schlagen Granaten ein, dann ist es natürlich nicht gut, aus der Deckung zu gehen und sich um den Kameraden zu kümmern.“

Bei der Bundeswehr erhalten Soldatinnen und Soldaten in der Vorbereitung auf einen Einsatz eine Basisausbildung, um verwundeten Kameradinnen und Kameraden Erste Hilfe leisten zu können („Ersthelfer Alpha“). „Das sollte jeder Soldat können. Gewisse Soldaten in der Kompanie werden dann weiter qualifiziert zum sogenannten Ersthelfer Bravo“, sagt Forstner. Ein derart geschulter Soldat könne zum Beispiel Zugänge legen und Blutungen stillen. „Wir bringen gerade den Ersthelfern bei, auch unter Stress zu reagieren“, so der Oberfeldarzt.

Entscheidungen über Leben und Tod

Erst nachdem der oder die Verletzte zum hinter der Front gelegenen Sammelplatz für Verwundete gebracht worden sei, übernehme das medizinische Fachpersonal: „Die Patienten werden vom Notfallsanitäter mit einem Verwundeten-Transportfahrzeug wie zum Beispiel dem Boxer abgeholt und dann der weiteren ärztlichen Versorgung zugeführt.“

Übersteige die Zahl der Verwundeten auf dem Sammelplatz die Zahl der verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten, müsse eine Priorisierung, genannt „Triage“, vorgenommen werden. „Das ist ein normaler Prozess. Immer dann, wenn ich die Ressourcen überschreite, muss ich priorisieren: Wer ist Erster, wer ist Zweiter und wer muss hintenanstehen.“

Im Krieg könne es zum Beispiel durch Artilleriebeschuss in einer Kompanie auf einen Schlag Dutzende Verletzte geben. Das medizinische Personal müsse in einem solchen Fall abwägen, wessen Behandlung am meisten Erfolg verspricht. Dazu gehöre mitunter auch „eine Entscheidung zu treffen, die im schlimmsten Falle dazu führt, dass jemand verstirbt“, so Oberfeldarzt Forstner.

von Timo Kather

Weitere Folgen