Nachgefragt

Phase zwei im Ukraine-Krieg: Was Russland jetzt vorhat

Phase zwei im Ukraine-Krieg: Was Russland jetzt vorhat

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Seit rund zwei Monaten tobt der Krieg in der Ukraine. Die russischen Truppen haben ihren Schwerpunkt inzwischen auf den Osten der Ukraine verlagert. Was steckt dahinter? Und wie hat sich Russland über viele Jahre hinweg auf militärische Auseinandersetzungen vorbereitet? Oberst Ralf Feldotto aus dem Verteidigungsministerium erklärt es.

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Oberst Ralf Feldotto, Experte für weltweite Sicherheits- und Bedrohungsbeurteilung, spricht darüber, was Russland ursprünglich erreichen wollte, was es nun plant und wie das Land sich seit Jahren auf militärische Konflikte vorbereitet hat

Die Schlacht um Kiew hat Russland verloren“, meint Oberst Feldotto. Er ist im Verteidigungsministerium zuständig für Krisenfrüherkennung und weltweite Sicherheits- und Bedrohungsbeurteilung. Bei „Nachgefragt“ beschreibt Feldotto auch, was Russland nun seiner Ansicht nach vorhat.

Ursprüngliche Ziele verfehlt

Russland habe zu Beginn des Krieges deutlich formuliert, dass es binnen 96 Stunden einen Regierungswechsel in der Ukraine herbeiführen wolle. Gleichzeitig wollte Russland die ukrainischen Streitkräfte zur Kapitulation zwingen. Erwartet habe die russische Führung, dass die eigenen Truppen von der ukrainischen Bevölkerung mit Blumen begrüßt würden. „Das hat alles nicht stattgefunden, das hat nicht funktioniert“, zieht Feldotto eine erste Bilanz und meint: „Wir befinden uns jetzt in Phase zwei, wo Russland versucht, die Oblast-Grenzen von Donezk und Luhansk einzunehmen und den Landkorridor zur Krim herzustellen, über Mariupol. Das ist die nächste Zielsetzung, die man in einem klassischen symmetrischen Krieg versucht zu realisieren.“

Zeichen auf Krieg?

Für eine weitere Bewertung der veränderten militärischen Lage sei aber ein Rückblick auf das Jahr 2008 entscheidend, so Oberst Feldotto. In diesem Jahr habe Russland die Entscheidung getroffen, sein Militär umfangreich zu modernisieren. „Die Fähigkeiten, die Russland da aufgebaut hat, hat es nie vorher gehabt. Man hat alles auf die militärische Karte gesetzt. Damit will Russland auch politische Ziele durchsetzen, was wir jetzt sehen.“

Im Süden, am Schwarzen Meer, sei die Krim ein unsinkbarer Flugzeugträger, der nicht nur das Schwarze Meer dominiere, sondern in Verbindung mit dem russischen Marinestützpunkt in Syrien auch bis ins Mittelmeer hineinwirke. Deshalb habe Russland die Halbinsel 2014 völkerrechtswidrig annektiert. Nun versuche Russland, die Ukraine vom Osten her komplett zu okkupieren, um hier weiter Macht auszuüben.

Wie Russland nun vorgeht

Russland wolle mit Angriffen in allen Teilen der Ukraine militärische Ziele bekämpfen – beispielsweise Führungs- und Instandsetzungseinrichtungen, Munitions- und Betriebsstoffdepots, aber auch kritische Infrastruktur und letztlich auch zivile Ziele. Das solle die Kampfkraft der ukrainischen Streitkräfte reduzieren und sie so zur Kapitulation zu zwingen. Das verdeutliche, welche Dimension das Gefechtsfeld gegenwärtig habe: „Die Kampfzone ist heute nicht mehr nur in der Duellsituation zu sehen, sondern hat sich hier am Beispiel der Ukraine bis an deren Westgrenze ausgedehnt“, erklärt Feldotto.

Der eigentliche Handlungsraum im Südosten der Ukraine sei etwa zweimal so groß wie das Saarland: „Auf der russischen Seite stehen dort etwa 80.000 Soldaten, auf der ukrainischen 30.000“. Damit habe Russland ein Kräfteverhältnis von knapp 3:1 hergestellt, das es brauche, um den Angriff symmetrisch erfolgreich durchführen zu können. Die große Gefahr für die Ukraine bestehe darin, dass die besten ukrainischen Streitkräfte östlich des Flusses Dnjepr stationiert seien. Sollte es Russland gelingen, diese Kräfte zu schlagen, eröffneten sich für Russland ganz andere Möglichkeiten, die Ukraine zu besetzen.

Eher symbolische Erfolge?

Auf der Seeseite habe die russische Marine die ukrainische Küste abgeriegelt. Von dort komme keine Unterstützung mehr für die Ukraine. Der Verlust des Lenkwaffenzerstörers „Moskwa“ im Schwarzen Meer habe für Russland eine große symbolische Bedeutung, denn es war nicht nur das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte, sondern der russischen Marine. „Das ist eine große Demütigung“, so Oberst Feldotto. Man habe Hinweise, dass der Untergang der „Moskwa“ kein Betriebsunfall gewesen sei. Es habe keinen Sturm gegeben – anders als von Moskau behauptet. Außerdem seien die restlichen Schiffe der Schwarzmeerflotte inzwischen erheblich auf Distanz zur ukrainischen Küste gegangen. Große Einschränkungen für die russische Operationsführung sieht Feldotto durch den Untergang der „Moskwa“ allerdings nicht: Russland habe entsprechende Redundanzen.

Doch kann sich der Krieg noch auf andere Länder ausweiten, wie es viele Bürgerinnen und Bürger befürchten? Hier beruhigt Feldotto: Russland sei in der Ukraine nicht so erfolgreich, wie Moskau sich das vorgestellt habe. Man sei dort gebunden, habe große Verluste erlitten. Außerdem habe die Reaktion der EUEuropäische Union und der NATO in puncto Konsequenz und Zusammenhalt der Partnernationen Russland mehr als überrascht: „Wir sehen zurzeit keine Indikationen, dass Russland die Absicht verfolgt, die NATO anzugreifen“, erklärt Feldotto.

von Robert Annetzberger

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