Plastische Chirurgie bis in die Haarspitzen

Plastische Chirurgie bis in die Haarspitzen

Datum:
Ort:
Erbil
Lesedauer:
3 MIN

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Minimize, Lockdown, Grundbetrieb. Begriffe, welche die momentane Lage des deutschen Einsatzkontingentes auf dem multinationalen Stützpunkt Erbil bestimmen. Lediglich für eine Handvoll Mediziner läuft alles wie bisher: Sie besetzen die Role 2, eine medizinische Behandlungsstelle, die einer notfallchirurgischen Ambulanz ähnelt. Die Role 2 wird von amerikanischen Streitkräften betrieben, für die das deutsche medizinische Personal unverzichtbar ist. Einer dieser Spezialisten ist Oberfeldarzt Dr. Sebastian H.

Chirurgie – „Arbeit mit den Händen“

Der Plastische Chirurg hat spontan eine weitere Rolle übernommen: die des Friseurs im Kontingent. Das mag auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich erscheinen. Auf den zweiten Blick ergeben sich jedoch einige Parallelen der beiden Berufe. Die Chirurgie ist das Teilgebiet der Medizin, das sich mit der operativen Heilbehandlung befasst. Das Wort Chirurgie leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „Arbeit mit den Händen“ oder „Ausübung eines Handwerks“. Eng verbunden ist sie mit Schneidwerkzeugen verschiedenster Art. Zum klassischen Skalpell kommen Schere, Klemme oder Löffel. In der Chirurgie fand Oberfeldarzt Sebastian H. sein medizinisches Zuhause.

„Ich wollte zur See fahren“

Oberfeldarzt Sebastian H. im Portrait, er trägt Mund-Nasen-Schutz sowie eine OP-Haube

Füllt mit seiner Arbeit zwei wichtige Rollen im funktionalen Grundbetrieb aus: am OP-Tisch sowie am Friseurstuhl

Bundeswehr/Nikolas Barth

Dabei wollte er ursprünglich etwas ganz anderes machen. „Ich wollte nie zur Armee“, erzählt der 38-Jährige, „irgendetwas im Bereich Biochemie hat mich damals interessiert.“ Doch es kam anders: Nach dem Abitur wurde er zum Grundwehrdienst eingezogen. Sebastian H. wollte zur Marine und musste sich dafür für zwei Jahre verpflichten. Der Schiffsarzt brachte ihn dann wiederum zur Medizin und überzeugte ihn, den Weg der Sanitätsoffiziere einzuschlagen. Das finanzierte Studium war für den „aus einfachen Verhältnissen“ stammenden Magdeburger eine willkommene Chance. Vorher musste er noch die Ausbildungen auf der Gorch Fock, an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München und an der Marineoffiziersschule in Mürwik durchlaufen. „Die Liebe zur Sanität hat mich dabei aber nie verlassen.“


Filigranes Arbeiten als Herausforderung

Ein Soldat schneidet einem anderen Soldaten mit einem Rasierer die Haare

Gar nicht so einfach: Gerade der Übergang zwischen lang und kurz braucht einiges an Übung

Bundeswehr/Nikolas Barth

„Während des Studiums habe ich schon ziemlich früh meinen Faible für die Plastische Chirurgie entdeckt“, erzählt Sebastian H. „Damals musste man sich aber langsam in der Karriereplanung vorarbeiten, diesen Ausbildungsweg gab es in der Bundeswehr noch gar nicht.“ Durch die Einsätze hat sich der Bedarf der Bundeswehr verändert. Heute ist Sebastian H. einer von insgesamt fünf Plastischen Chirurgen in der Bundeswehr. Dabei spielen insbesondere Rekonstruktion, Handchirurgie sowie Verbrennungschirurgie zentrale Rollen im Alltag der Bundeswehr-Spezialisten.

Handwerk für Funktion und Ästhetik

Eine Hand hält ein Skalpell

Millimeterarbeit: Am Skalpell ist immer eine ruhige Hand gefordert

Bundeswehr/Nikolas Barth

„Wir haben natürlich alle einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik, aber wir betreiben keine Schönheitschirurgie im allgemeinen Verständnis.“ Ästhetik als ein Teilbereich der Plastischen Chirurgie steht bei der Bundeswehr folglich nicht im Vordergrund, sie ist jedoch meist der letzte Schritt im Rahmen einer vorhergehenden aufwendigen Rekonstruktion. „Handwerklich ist das extrem anspruchsvoll, weil die Behandlung und der meist langwierige Behandlungsweg individuell auf den Patienten abgestimmt werden müssen“, beschreibt er das Vorgehen. Letztendlich ermögliche die Plastische Chirurgie „vielen Patientinnen und Patienten eine soziale Teilhabe. Zuerst stellen wir die Funktionalitäten wieder her, wobei wir die ästhetische Komponente bereits berücksichtigen.“

Der Dienstleistungsgedanke steht im Vordergrund

Ein Soldat schneidet einem anderen Soldaten die Haare

Es bleibt die Verbindung zum schneidenden Handwerk: Auch an der Schere ist eine ruhige Hand gefragt

Bundeswehr/Nikolas Barth

„Für mich ist der Einsatz elementarer Teil meines soldatischen Selbstverständnisses. Im Falle eines Falles möchte ich meine Kameradinnen und Kameraden bestmöglich versorgen.“ Zum Glück ist der chirurgische Notfall bisher nicht eingetreten. Stattdessen bot sich für den Arzt schnell eine andere Möglichkeit, die Truppe zu unterstützen. Durch den minimalen Grundbetrieb war nämlich kein Friseur mehr verfügbar. Sebastian H. berichtet: „Ich bin reingekommen und der Friseur wurde ausgeflogen. Die entstandene Dienstleistungslücke habe ich dann spontan gefüllt.“ Mit chirurgischer Präzision schreitet der Oberfeldarzt zur Tat, die Arbeit bereitet ihm Freude. „Ich habe schon immer Haare geschnitten, schon damals auf dem Schiff als Obergefreiter“, lacht er. Mit dem „ästhetischen Anspruch eines Plastischen Chirurgen“ frisiert er jeden einzelnen Kunden.

Sein Einsatz ist bei den Kameradinnen und Kameraden gleichermaßen beliebt, wobei seine Hauptkundschaft aus Herren besteht. Besonders begehrt ist seine Dienstleistung natürlich bei all jenen, die gerade aus der Quarantäne kommen und vorher durch die  Corona-Maßnahmen in Deutschland keine Möglichkeit hatten, an einen ordentlichen Haarschnitt zu kommen. Es sei nämlich ein Irrglaube, dass jede Soldatin und jeder Soldat eine Mutter habe, die ihm die Haare schneiden könne. Umso wichtiger, dass Sebastian H. mit der Schere bereitsteht.   

von Nikolas Barth

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