Verkabelt hinterm Steuer – so erprobt die Bundeswehr ihre neue Nachtsichtbrille

Verkabelt hinterm Steuer – so erprobt die Bundeswehr ihre neue Nachtsichtbrille

Datum:
Ort:
Bergen
Lesedauer:
4 MIN

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Es ist dunkel auf dem Truppenübungsplatz Bergen. Sehr dunkel. Nur ab und zu fällt durch eine Wolkenlücke etwas Mondlicht und beleuchtet schwach Bäume und Unterholz. Motorengeräusch dringen durch die Stille, die Quelle kommt rasch näher. Plötzlich ist nur wenige Meter entfernt schemenhaft ein unbeleuchtetes Militärfahrzeug zu erkennen.

Ein Fahrzeug, unscharf von hinten zu sehen, fährt mit Licht bei Dunkelheit auf einer Straße.

Los geht’s: Erst auf der abgesperrten Geländelehrbahn dürfen die Fahrzeuge ohne Licht fahren, auf der Straße dorthin muss das Licht anbleiben

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Fast wie auf Schienen fährt der vierachsige Lkw im Fußgängertempo auf einem matschigen Pfad durch den dichten Wald, weicht kaum zu erkennenden Bäumen aus und verschwindet hinter einer Bodenwelle.

Vier Fahrzeugtypen für den Test

„Wir erproben hier die neue Bildverstärkerbrille querschnittlich auf ihre Eignung für den Kraftfahrbetrieb“, erklärt Oberstleutnant Hartmut Biermann im einige hundert Meter entfernten Leitstand. In einem ehemaligen Karrieretruck der Bundeswehr laufen bei ihm alle Fäden der Erprobung des neuen Nachtsichtgerätes zusammen. Bildverstärker sorgen auch nachts für Durchblick, indem sie das schwache Restlicht bündeln. Sie werden deshalb auch als Restlichtverstärker bezeichnet.

Für die Versuche auf der KfzKraftfahrzeug-Geländelehrbahn im Wald und im urbanen Gelände des nahe gelegenen Camps Ost bei Bad Fallingbostel hat Biermann gut 85 Soldatinnen, Soldaten und ziviles Personal aus 18 Dienststellen zusammengezogen.

Auf vier verschiedenen Fahrzeugtypen – Eagle IV/V, Dingo II, dem Ungeschützten Transportfahrzeug (UTFungeschütztes Transportfahrzeug) für 5 bis 15 Tonnen, dem Truppenentgiftungsplatz 90 (TEP 90) für ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehr und einigen weiteren Fahrzeugen – wird die Restlichtverstärkerbrille vier Wochen lang intensiv getestet. „Der Kraftfahrer muss alle Situationen meistern können, in die er kommen könnte – Gegenverkehr, Blendungen, schwierige Geländestellen“, erklärt der Ingenieur und amtlich anerkannter Sachverständiger aus dem Zentrum für Kraftfahrwesen der Bundeswehr.

Ein Soldat befestigt Elektroden auf dem Rücken eines Soldaten.

Voll verkabelt: Elektroden für die Messung der Muskelspannung, ein Kerntemperatursensor, Pulsgurt, Hauttemperatur- und Schweißsensoren und ein Stimmfrequenzmesser – den Sensoren entgeht nichts

Bundeswehr/Torsten Kraatz
Ein Soldat trägt eine Brusttasche mit Kabeln und Technik um den Hals

Technik im Bauchladen: Stromversorgung und Datenspeicher für alle Sensoren werden in einer Brusttasche untergebracht

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Sensoren messen Belastung der Fahrer

In einem Bus auf der anderen Seite des Leitstandes warten die Kraftfahrer der zweiten Runde auf ihren Einsatz. Bevor es auf die Fahrzeuge geht, werden die Kraftfahrer verkabelt. „Geht das so oder drückt es?“, fragt Oberfeldarzt Dr. Andreas Werner, während er einen Körperkerntemperatur-Sensor an der Stirn eines Fahrers befestigt. Pulsgurt, Elektroden für die Messung der Muskelspannung auf dem Rücken, Hauttemperatur-Sensoren auf Armen und Beinen, Schweißsensoren auf dem T-Shirt und ein Stimmfrequenzmesser am Kehlkopf – zehn Minuten später ist der Oberstabsgefreite vor ihm eine wandelnde Sensorbank. In einer Brusttasche sitzen die Datenlogger und die Stromversorgung für die Sensorik.

Für  Werner aus dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe in Königsbrück ist der Versuch eine Win-win-Situation. „Wir messen nicht nur die Belastung für den Fahrer durch die Nutzung der Nachtsichtbrille und unterstützen damit die Erprobung. Gleichzeitig erhalten wir wertvolle Messdaten für unser Projekt mobiles physiologisches Labor zur Entwicklung von Belastungssensoren.“

Mit 27 Tonnen durch die Nacht

Oberstabsgefreiter Konstantin Rehm aus dem Logistikbataillon 461 in Walldürn schließt den letzten Knopf seiner Feldbluse. In wenigen Minuten wird er sein gut 27 Tonnen schweres Geschütztes Transportfahrzeug (GTFGeschütztes Transportfahrzeug, 15 Tonnen Nutzlast) in völliger Dunkelheit über die Geländelehrbahn steuern müssen – auf dem Kopf die neue Bildverstärkerbrille. Die Brille wird an einer Kopfhaube befestigt – und bei Nichtgebrauch einfach hochgeklappt.

„Ich kenne den Vorgänger, die BONIE-M – die neue Brille ist schon deutlich besser. Leichter, und man hat damit eine viel bessere dreidimensionale Sicht“, sagt der einsatzerfahrene Kraftfahrer. Begleitet wird er während seiner Nachtfahrt von einem Militärkraftfahrlehrer als aktivem Beifahrer und Auswerter – natürlich ebenfalls mit Nachsicht.

Das Fahren mit Restlichtverstärker ist anspruchsvoll – Trägerin und Träger müssen die Okulare der Brille auf nahe oder weite Entfernung einstellen. Ein schneller Blick etwa auf die Instrumente ist so nicht möglich. Zudem ist das Sichtfeld auf gut 40 Grad verengt – normalerweise beträgt es rund 210 Grad.

Die Hände eines Soldaten tippen auf einer Laptop-Tastatur.

Jedes Detail zählt: Vor und nach jeder Fahrt füllen Fahrer und Auswerter einen digitalen Fragebogen aus

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Daten, Daten, Daten

Die Kraftfahrer und Auswerter füllen vor und nach jeder Fahrt einen Fragebogen aus“, erklärt Versuchsleiter Biermann. „Hier geht es etwa um die subjektive Belastung, aber auch um Dinge wie die Bedienbarkeit der Nachtsichtbrille.“ Zusätzlich werden alle Fahrdaten der Fahrzeuge mit Hilfe eines Datenloggers erfasst und nach Fahrtende ausgelesen. „Wir haben auch zusätzliche GPSGlobal Positioning System-Sensoren an den Fahrzeugen sowie eine Kamera für den Innenraum mit Gesprächsaufzeichnung.“

Auf dem Parcours im urbanen Gelände des Camps Ost bei Bad Fallingbostel liefert eine kabelgebundene Spezialdrohne zusätzliche Außenaufnahmen aus der Luft von den Fahrsituationen. Nach dem Ende der Fahrversuche beginnt die eigentliche Arbeit erst – die Auswertung der erfassten Datenmengen.

„Letzten Endes leisten wir einen Beitrag zur Nutzungsgenehmigung der Brille. Wir legen mit fest, welche Auflagen es geben wird.“ Das können etwa Regelungen zur maximalen Tragedauer der Brille für Kraftfahrer sein. Mitte 2022 sollen die ersten neuen Bildverstärkerbrillen an die Truppe ausgeliefert werden.

von Björn Lenz

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